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Jeder bekommt nur so viel aufgeladen….




…. wie er tragen kann. Einer dieser Kalendersprüche, den ich kürzlich irgendwo las. Ok, ich gestehe wohl gleich mal, dass ich das für Blödsinn halte - wie so viele Kalendersprüche. Die klingen erstmal prima, aber wenn man sich das Ganze mal von allen Seiten ansieht, kriegt die schöne Welt Löcher. Wenn jeder nur so viel aufgeladen bekommt wie er tragen kann, dann gäbe es vermutlich eine Welt ohne Suizide. Aber lassen wir das.


Für mich persönlich stimmt dieser Spruch vermutlich gerade. Denn wenn mir das, was ich in den letzten zwei Wochen erlebt hätte, vor einem Jahr passiert wäre, dann weiß ich nicht, wie ich das hätte durchstehen sollen. Vermutlich befände ich mich dann stationär in der Psychiatrie.


Dass ich da nicht bin, sondern auf dem Sofa sitze, den ersten „freien“ Abend seit zwei Wochen genieße und eine Blogpost tippe, ist vermutlich ein Zeichen, dass ich das tragen kann. Und darüber bin ich verdammt froh.


Ok, in der ersten Woche nach dem Schlaganfall des Liebsten tobte bei mir die Kirmes im Kopf. Der Unterschied zu vor gut einem Jahr, als das aufgrund meines Burnouts genauso war, ist, dass ich das Karussell diesmal selbst anhalten konnte. An drei Tagen bin ich mit einer heftigen Panikattacke morgens aufgewacht. Nachdem ich am ersten Morgen dachte, dass ich das nicht überlebe, konnte ich die Attacken an den nächsten Tagen einfach wegatmen. Der Dank dafür gebührt meinen Therapeuten in der Tagesklinik im vergangenen Jahr. Und wenn ich damals noch beim Wort „Achtsamkeit“ gern die Flucht ergriffen hätte, bin ich jetzt unendlich froh, dort ganz viel gelernt zu haben. Gelernt, wie ich mich selbst ins Hier und Jetzt zurück befördere. Gelernt, dass ich nicht bin, was mir gerade durch den Kopf geht. Und gelernt, dass Katastrophisieren nicht die Realität ist.


In der zweiten Woche war mir dann klar, dass ich mich jetzt vor allem auch um mich kümmern muss, um das durchzuhalten. Und wo ich mich im vergangenen Jahr noch gefragt habe, wie das überhaupt geht, bin ich inzwischen Profi in Selbstfürsorge. In der Therapie haben wir gelernt, eine Notfallkiste anzulegen. Da kommej stellvertretend für Dinge, die uns gut tun, kleine Erinnerungshilfen hinein. Für den Fall, dass man so verzweifelt ist, dass man nicht weiß, wie man sich selbst wieder runterbringt. Ich habe mir damals eine wunderschöne silberne Dose gekauft, in der unter anderem ein kleiner, goldener Buddha liegt - als Symbol für das tägliche Meditieren. Und auch da gilt: Wo ich vor einem Jahr bei der Erwähnung des Wortes noch schreiend weglaufen wollte, ist Meditation inzwischen zu einem Ritual geworden, das ich liebe und das mir jeden Tag hilft, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren.


Ich habe in den letzten Monaten das eine oder andere Mal gezweifelt, ob ich mir eine berufliche Zukunft als Heilpraktikerin für Psychotherapie wirklich zutraue. Inzwischen weiß ich: Ja, ich kann das. Und ich freue mich darauf, nach einigen geplanten Weiterbildungen im Sommer und Herbst in Sachen Achtsamkeit und Stressmanagement spätestens im kommenden Jahr meinen Arbeitstag zwischen PR und Therapeutendasein aufzuteilen.


Ich denke, was ich geschafft habe, nämlich rauszukommen aus dem Burnout-Loch in ein Leben, das mir selbst in Katastrophensituationen sehr viel Spaß macht, das schaffen auch andere. Und ich freu mich darauf, ihnen dabei zu helfen.


Meine Kinder sind in Sachen Selbstfürsorge übrigens auch nicht schlecht. Die lassen sich jeden Tag irgendetwas einfallen, um mich pfleglich zu behandeln. Sie kochen wie die Weltmeister - die Küche darf dann ich aufräumen, lenkt ja auch ab - sie zerren mich von Café zu Café und sogar in meinen Lieblingsladen. Und sie haben in der vergangenen Woche gleich zweimal Elli ausgeliehen.


Ellli ist ihres Zeichens Schäferhund und der wohl temperamentvollste Hund, den ich je erlebt habe. Wer mit Elli spazieren geht, kann was erleben. Ich frage mich ja seit dem Tod unserer Fine vor drei Jahren, ob ich nicht doch endlich wieder einen Hund haben möchte. Wenn Elli einen Tag bei uns war, ist die Vermissung dann regelmäßig riesengroß…


Also haben wir an einem der raren Frühlingstage der letzten Woche einen etwas längeren Spaziergang durch die Harburger Berge und die Fischbeker Heide unternommen. Und wo ich zum Schluss doch etwas angestrengt zum Auto humpelte, war Elli nach zwei Schüsseln Wasser wieder topfit und verlangte nach einer weiteren Runde durch den Park. Notiz an mich selbst: Wenn Hund, dann bitte ein kleiner, der nach zehn Kilometern Fußmarsch ebenso erschöpft guckt wie ich selbst.


Elli dagegen guckt nach zehn Kilometern eher gelangweilt. Selbst wenn sie dank Schleppleine und Stöckenwerfen ungefähr das Doppelte gerannt ist. Stöckchenwerfen findet sie übrigens Ultra-Genial. Und noch besser ist es, wenn man das Stöckchen einfach schwenkt und sie springen kann. Elli scheint Flughunde in ihrer Ahnenreihe zu haben. Anders kann ich mir das Benehmen nicht erklären.


Damit ihr nicht nur zu lesen, sondern auch was zu gucken habt, habe ich Kind, groß, gebeten, ein paar Fotos zu machen. Und ich habe erstmals mein neues Jeanskleid getragen. Das stammt von Anfang März, als die Welt noch in Ordnung war. Da dachte ich, ich brauche dringend und wahnsinnig unbedingt ein Jeanskleid, weil ich entweder Strick- oder Sommerkleider besitze und nichts dazwischen. Aber die Lust auf Strickkleider ist gerade nach dem langen Winter nicht mehr ganz so groß, so dass ich Jeans für eine willkommene Abwechslung hielt.








Ok, inzwischen weiß ich, dass kein Mensch dringend und wahnsinnig unbedingt ein Jeanskleid braucht. Die wahren Werte und so…. Aber trotzdem freu ich mich, dass ich es gekauft habe. Dem Patienten gefällt es übrigens auch :-) Der macht, das wird vielleicht den einen oder anderen freuen, täglich kleine Fortschritte. Er kann mir mit links wieder einen Stinkefinger zeigen. Ok, für 99,9999 Prozent der Menschen ist das vermutlich kein wirklicher Erfolg. Für mich war das gestern ein Grund, in Jubel auszubrechen. Und wer weiß, vielleicht kann er in ein paar Wochen sogar wieder ein paar Schritte gehen. Ich glaube, ich würde ausflippen vor Freude. So wie Elli, wenn man einen Stock wirft.


Liebe Grüße

Fran

Kommentare

  1. Liebe Fran,
    es freut mich sehr, dass es deinem Partner wieder ein wenig besser geht. Was ich in den letzten beiden Jahren gelernt habe, ist, dass auch kleine Schritte wichtig sind, weil sie Hoffnung geben. Selbst wenn es Rückschritte gibt. Dann braucht man Struktur, Pausen und kleine Rituale, das habe ich auch gelernt.
    Das Jeanskleid steht dir gut und ist unkompliziert - Unkompliziertes braucht man auch :)
    Liebe Grüße von Sab

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    1. Kleine Schritte können so großartig sein! Heute haben wir eine Stunde lang Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt. Und ich habe mich wohl noch nie so sehr über ein solches Spiel gefreut :-)
      Und ja, man braucht Struktur, Pausen und Rituale. Ich bin so unglaublich froh, dass ich die schon im vergangenen Jahr gelernt habe. Das hätte mich in der derzeitigen Situation völlig überfordert.

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  2. Es freut mich sehr, dass Dein Liebster Fortschritte macht. Auch wenn er vielleicht nicht solche Luftsprünge machen kann wie Elli. Gut, dass Du zwischendurch den Kopf frei bekommst. Das hilft ungemein. Weiterhin gute Fortschritte wünsche ich.

    Liebe Grüße Sabine

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    1. Luftsprünge wie Elli - na, hoffentlich nicht! Er kann das linke Bein und den linken Arm ein bisschen bewegen. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Das reicht schon, damit ich mich wie ein Schnitzel freue :-)

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  3. Mit dem Spruch habe ich definitiv Bauchschmerzen, denn selbst wenn er stimmt, ist schon schlimm, was manche einer zu (er)tragen bekommt.

    Schöner Hund! Der wäre mir zu wild, aber ich bin sicher, dass Ihr da oben viel Spaß hattet. Da geht Paul auch gerne lang.

    Kommt Kleiderzeit, kommt Fortschritt!

    Herzliche Grüße
    Ines

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  4. Argh diese Kalendersprüche! 🙄 Das Jeanskleid ist toll. Es ist ein geniales Blau und ein toller Schnitt. Ich freue mich über den kleinen Fortschritt und ich denke auch das wird wieder. Die Reha kann wirklich Wunder bewirken, ich hab schon ganz viele gesehen. Ich drücke natürlich weiterhin die Daumen und denke an euch. 💕
    Liebe Grüße Tina

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  5. Der Hund ist toll Fran. Ein Energiebündel wie es im Buche steht. Aber als Leihhund hat er wirklich fast nur Vorteile. Außer, dass man bald schon "Zeitlang" nach ihm hat, wenn er mal nicht da ist.
    Ich weiß nicht, ob man tatsächlich nur das aufgeladen bekommt, was man tragen kann. Oder ob man sich vielleicht weg duckt, oder aus dem Verkehr zieht, wenn man das Gewicht nicht tragen kann. Wieso muss ich jetzt an die Hunde unter den Steinblöcken bei ein Fisch namens Wanda denken? Ich glaube wohl, es gibt "Lasten" die sind einfach unmenschlich schwer und im Prinzip von niemandem zu tragen.
    Selbst Jesus hatte Probleme mit seinem Kreuz.
    BG Sunny

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  6. Das klingt alles sehr positiv. Ich finde den Spruch hart, aber habe manchmal schon das Gefühl gehabt, dass er passt. Auch wenn das immer subjektiv ist.
    Ich freue mich mit dir, dass es sichtbare Schritte gibt. Und dass du Freude an dem Hund hast. Ich hätte: Respekt. 🙃 Und bitte: Was ist das für ein tolles Kleid. Und manchmal braucht man auch so etwas. Ich könnte es brauchen, denn es sieht perfekt aus.
    Liebe Grüße und viele kleine Dinge, die dir ein Lächeln und Kraft zaubern.
    Nicole

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  7. Diesen doofen Kalenderspruch hab ich auch schon gelesen und dachte: ach ja?? Das ist echt schlimmer Zynismus.
    Ich wünsche Dir, dass dein Partner weiterhin so gute Fortschritte macht, und du weiter die Gelegenheit hast, dich wie ein Schnitzel zu freuen.
    Ein Gutes haben solche Katastrophen jedenfalls: man hat das Gefühl, die Zeit vergeht langsamer, da man viel bewusster ist und intensiver lebt, zumindest ging es mir so... man lernt vielleicht, das Augenmerk auf andere Dinge zu richten. Ist halt alles andere als schnöder Alltag... Und vielleicht hilft ja ein anderer Kalenderspruch: nichts geschieht ohne Grund. Für mich war der zumindest immer ein Trost.
    Ganz tolle Fotos mit Hund und Jeanskleid! I like!
    Liebe Grüße Maren

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