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Selbstfürsorge? Was für ein Quark.



Das war in Kurzform das, was ich bis vor ziemlich genau zwei Jahren von dem Konzept Selbstfürsorge gehalten habe. Wobei das damals noch anders hieß, nicht so hip war wie heute und deshalb noch kein Dauerthema aller selbsternannter Experten der sozialen Medien.


Ich weiß noch, wie meine Therapeutin in der Ambulanz mich nach der ersten Therapiestunde nach der Diagnose „Burnout“ mit den Worten „Und tun Sie bitte nur Dinge, die Ihnen gut tun“, in die Realität entließ. Ich habe selten so dämlich geguckt wie in diesem Moment. Vermutlich hätte ich noch blöder geguckt, wenn sie gesagt hätte, ich solle mich mal um das Thema Selbstfürsorge kümmern…


„Hä? Was will die mir sagen? Wieso gut tun? Ich kann in meinem Job tun, was eben zu tun ist. Oder noch ein bisschen was obendrauf, weil es dann besser wird. Ich kann bei mir zuhause endlich mal wieder Ordnung machen und vielleicht die Fenster putzen. Ich kann jede Menge tun. Aber woher um alles in der Welt soll ich denn wissen, ob mir das gut tut?“


Mit etwa diesen Gedanken im Kopf habe ich mich auf den dreißigminütigen Fußweg nach Hause gemacht. Ich war komplett überfordert. Dinge, die mir gut taten, kamen seit langem in meinem Leben nicht mehr vor. Die waren schlicht und ergreifend kein Thema für mich. Themen waren vielmehr, aus meinem Job als Redaktionsleiterin das Beste zu machen: Das Beste für meine Mitarbeiter, das Beste für die Auflage. Ich kam da nicht so vor…


Ok, ich hätte gern mal wieder eine Nacht länger als drei Stunden geschlafen. Ich hab geträumt von einem Abend, an dem ich mich einfach ins Bett lege und einschlafen kann. DAS hätte ich liebend gern getan. Nur: Das funktionierte schon seit vielen Monaten nicht mehr.


Wer aufmerksam bis hier gelesen hat, dem ist vielleicht aufgefallen, dass ich geschrieben habe, dass ich zu Fuß unterwegs war zur Therapie. Das war eigentlich der Tatsache geschuldet, dass ich zu dieser Zeit aufgrund von Panikattacken schlichtweg nicht mehr Auto fahren konnte.  Aber - oh Wunder - der Spaziergang machte mir tatsächlich Spaß. Es war schön, im Schlenderschritt durch den Park und am Wasser längs zu gehen, sich von dem überraschen zu lassen, was an der nächste Ecke wartete und dabei nicht gehetzt zu sein. Bis ich aber dann tatsächlich gemerkt habe, dass mir Spazierengehen gut tut, bis dahin hat es noch ein paar Wochen gedauert.


Und so ging es eigentlich mit allem, was ich getan - oder eben auch nicht getan - habe. Ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn mir etwas gut tut. Kein Witz. Die Sache mit dem Fühlen hatte ich mir komplett abgewöhnt. Klingt vermutlich für die meisten von euch ziemlich schräg. Aber hätte ich tatsächlich gefühlt, was ich mir in den Monaten und Jahren vor dem Kollaps angetan habe, dann wäre ich wohl schon viel früher schreiend davongelaufen. Aber ich hab es schlichtweg nicht gemerkt. Was übrigens nicht ungewöhnlich ist für Menschen, die im Burnout landen. Sonst würden sie da ja nicht landen.


Heute also mal eine kleine Anleitung dazu herauszufinden, was einem gut tut - für den Fall, dass man wie ich nicht weiß, wie man das herausfinden soll:


  • Tut Dinge. Tut Dinge, die euch gerade in den Kopf kommen. Dinge, die ihr vielleicht früher mal gern getan habt. Oder Dinge, die ihr vielleicht schon immer mal ausprobieren wollte. Und vielleicht auch Dinge, die ihr nie ausprobieren wolltet. Versucht es einfach.
  • Und wenn ihr diese Dinge getan habt - einmal oder vielleicht auch zwei- oder dreimal, dann horcht einfach in euch rein. Wie geht es euch „danach“ und „währenddessen“? Fühlt ihr euch gut? Freut ihr euch sogar, weil ihr das, was ihr da tut, endlich mal ausprobiert habt? Oder ist es einfach nur langweilig und so gar nicht das, was ihr erwartet habt? War das jetzt eine Bereicherung? Oder Zeitverschwendung? Auf diese Weise habe ich übrigens festgestellt, dass ich unglaublich gern lerne - so richtig oldschool am Schreibtisch mit Unterricht und Aufzeichnungen und so - dass ich immer noch wahnsinnig gern lese, aber nur, wenn ich keinen Zeitdruck habe, dass ich tatsächlich Freude am Klavierspielen habe und dass mir auch mit viel Zeit und Muße Kochen nicht wirklich Spaß macht. Demnächst werde ich etwas ausprobieren, was ich seit 40 Jahren nicht mehr getan habe: Stricken. Ich bin gespannt, ob mir das Spaß machen wird.
  • Wenn ihr Dinge gefunden habt, die euch beim oder nach dem Tun das Gefühl vermitteln, dass sie euch erfüllen, dass sie Spaß machen, dass ihr sie wirklich gern tut oder dass sie euch ein gutes Gefühl geben, dann nehmt euch auch Zeit dafür. Und zwar nicht nur 30 Minuten pro Woche. Reserviert euch täglich Zeit für solche Dinge. Das geht. Vor allem, wenn man weiß, dass die Alternative ist, dass sonst irgendwann gar niix mehr geht.


Ach ja, es ist übrigens absolut erlaubt, dass Dinge, die als wahnsinnig gesund und irre wichtig für das Wohlbefinden propagiert werden, euch nicht gut tun. Ich kenne jede Menge Menschen, die nach einem nachgeturnten Workout von total fitten Fitness-Influencern zwei Wochen lang nicht mehr geradeaus gehen konnten. Das tut definitiv nicht gut. Das ist aber kein Grund, das gesamte Konzept Sport in der Versenkung verschwinden zu lassen. Sport kann auch ein Spaziergang sein. Oder gerade jetzt ein Besuch auf der Eisbahn. Oder ein Ausflug zum Badesee im Sommer. Just saying.


Und wenn ihr jetzt sagt, dass ihr keine Zeit für Selbstfürsorge habt, dann guckt einfach am nächsten Freitag wieder vorbei. Dann gibt es nämlich den todsicheren Tipp, wie man sich freie Zeit schafft.


Aber jetzt erzählt mal: Wisst ihr, was euch gut tut? Und wenn ja, was ist das? Vielleicht inspiriert ihr ja einen Leser oder eine Leserin? Mich würde es freuen.


Liebe Grüße

Fran



Kommentare

  1. Das mit dem "tun" ist immer so eine Sache in unserer leistungsgetriebenen Gesellschaft. Ich weiß, man kann nicht nichts tun aber unbewusst meint man dann immer, man müsste produktiv sein. Oder was Sinnvolles tun. Dabei tut es auch mal gut, einfach gar nichts zu tun und nur Luftlöcher zu starren - und schon tut man wieder was 😖. Oh man, ist das schwierig.

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    1. Genauso ist es. Nichts tun ist nicht sonderlich rühmlich, aber manchmal tut es einfach so gut. Ich musste das aber auch lernen. Sowas kam in meiner Erziehung schlichtweg nicht vor.

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  2. Einfach mal nichts tun tut mir ebenfalls gut. Mittags meinen Mittagschlaf nehmen. Ansonsten liebe ich meine Hobbys: Nähen, Schmuck herstellen, Fotografieren.

    Liebe Grüße
    Sabine

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    1. Die Niederländer haben dafür dieses schöne Wort: Nixen. Sollte jedes Kind in der Schule lernen, finde ich.

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  3. Ich hatte zwar keinen Burnout, aber es gab da die eine oder andere Sache vor ein paar Jahren, die mir gezeigt hat, was mir eben nicht guttut. Da habe ich angefangen, an ein paar Schrauben zu drehen. Die, als sie locker waren, erstmal holpern verursacht haben.

    Aber dann. Und ja, ich weiß, was mir guttut und womit ich mir und anderen guttue.
    Emotional und auch ‚im Tun‘. Somit weiß ich auch, was mir nicht guttut. Und das ist prima. Denn einfach mal den Wolken zuschauen, die Currywurst essen, nicht exzessiv Sport zu treiben und einiges mehr.
    Und zu wissen, dass Selbstfürsorge kein Hashtag mit fest vorgegebenem 'How to', sondern individuell und essenziell ist, ist ein guter Weg. Klappt nicht jeden Tag, aber oft.
    Und es ist schön zu lesen, dass du auf dem Weg zu Fuß auch langsam den Weg zu dir selbst gegangen bist.
    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Dann warst du definitiv schlauer als ich. Ich hab nix gemerkt. Jahrelang nicht. DAS ist auch eine Leistung ;-)
      Die meisten Menschen erwarten tatsächlich einen Zwölf-Punkte-Plan, den sie nur "abarbeiten" müssen, damit alles wieder gut ist. Den gibt es aber nicht - du weißt das. Und damit weißt du echt schon eine Menge Dinge.

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  4. Ich lese schon "ewig" deinen Blog. Ich mag deinen Stil. Ich arbeite im pädgogischen Bereich und weiß was es bedeutet immer "ein bisschen mehr " geben...mehr Zeit...mehr Kraft.. und du hast absolut recht man merkt es nicht wenn man mittendrinsteckt.
    Alles LIebe und Gute
    Ruth

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    1. Danke für deine lieben Worte! Irgendwann geht das "bisschen mehr" eben nicht mehr. Auch wenn man es noch so sehr will. Ich hoffe, du achtest besser auf dich als ich das getan habe!

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  5. Hey ja ich hab jetzt Wochen nicht gearbeitet und dabei nichts gemacht. Erst jetzt löst sich die Sache etwas auf und ich komme zu mir. Merke wie sehr doch doch im Rad war. Jetzt geht es erst mal ans Meer und dann müsste ich wieder arbeiten. Keine Ahnung wie es weitergeht. Und nein ich habe niemanden nur den Mann. Therapeutin nicht auf die schnelle.

    LG Ursula

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    1. Wenn du das Gefühl hast, dass das mit dem Arbeiten nicht geht: Geh zum Arzt und lass dich weiterhin krank schreiben.
      Die Verantwortung, die da auf deinem Mann lastet, ist ganz schön hoch. Vielleicht magst du dich ja an eine psychiatrische Institutsambulanz wenden? Da gibt es wirklich schnelle Hilfe. Oder via 116 117. Oder vielleicht hat deine Krankenkasse ja einen Vertrag mit einer Therapiepraxis für kurzfristige Hilfe? Meine hat tatsächlich sowas.
      Wenn es hilft, kannst du mich auch gern anmailen. Mailadresse findest du im Impressum.

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  6. Ich denke, du machst das richtig. Und klar, Bloggen kann auch ein Ausgleich sein. Ist es ja für mich auch. Fenster putzen weniger...

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  7. Inzwischen weiß ich was mir gut tut, zum Beispiel...

    ... Nein! sagen... Nein! diesmal kann ich nicht spontan zusätzlich für eine Kollegin einspringen ... Nein! ich tausche nicht schon wieder meinen freien Samstag gegen einen x-beliebigen Wochentag ein, nur damit immer die gleiche Kollegin ein freies Wochenende hat ...

    ... ein gutes Buch lesen

    ... sich Zeit für einen Stadtbummel, Spaziergang, usw. zu nehmen

    ... oder einfach auch, wie bereits oben kommentiert, mal nichts tun

    Selbstfürsorge ist wirklich wichtig!
    Danke für deinen kompetenten Beitrag!

    Mit herzlichen Grüßen
    Uschi aus Bayern

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