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Nieder mit den negativen Glaubenssätzen!


Bild: Pixabay 



„Du musst nur deine Glaubenssätze über Bord werfen“

„Du musst deine Überzeugungen einfach neu programmieren“

„Weg mit den alten Gedankenmustern“


To be continued.


Seit einigen Monaten haben die sozialen Medien die Glaubenssätze entdeckt. Psychologisches Vokabular ist momentan total hip und nach dem Mental Load und allerlei Toxischem sind jetzt eben die Glaubenssätze dran. Logisch, weil wir ja zu Beginn eines Jahres doppelt danach streben, dass dieses Jahr das Beste wird, was wir je erlebt haben.


Glaubenssätze also nun. Dieser Begriff wird gerade inflationär gebraucht und manchmal frage ich mich, ob Ottilie Normal-Influencer überhaupt weiß, was das eigentlich ist. Eine einigermaßen gelungene Definition ist Folgende:


„Glaubenssätze sind Überzeugungen oder Annahmen, die Menschen über sich selbst, andere oder die Welt haben. Sie sind tief verwurzelt und beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln. Glaubenssätze können positiv oder negativ sein und durch Erfahrungen, Erziehung oder Kultur geprägt werden.“


Und vor allem sind Glaubenssätze eines: Sie sind uns in der Regel nicht bewusst.


Fangen wir mal ganz früh an: Nach dem sogenannten Instanzen-Modell, das Sigmund Freud entwickelt hat, gibt es das Es, das Ich und das Über-ich. Klingt ungewohnt, ist aber für die Entwicklung von Glaubenssätzen eine gar nicht so unwichtige Basis.


Das Es ist im Prinzip ein neugeborenes Kind. Es weiß nichts von der Welt. Es ist ausschließlich triebgesteuert. Ihm geht es ausschließlich um die Erfüllung seiner Bedürfnisse. Wenn es Hunger hat, schreit es. Und erwartet, dass sein Hunger gestillt wird. Das Es kennt keine Werte und kein „gutes Benehmen“. Es kennt nur seine Bedürfnisse und verlangt danach, dass sie erfüllt werden.


Dann kommt das Über-Ich ins Spiel. Das Über-Ich sind Werte, Verbote oder Einschränkungen, die das Kind in erster Linie von seinen Eltern lernt. Das kann beispielsweise etwas sein wie: „Du bist wichtig und ich erfülle deine Bedürfnisse, sobald du sie äußerst“. Aber eben auch: „Ich höre dein Schreien zwar, aber du musst warten, bis ich es für richtig halte, mich um deine Bedürfnisse zu kümmern“.


Oder, wenn wir mal ein paar Jahre weiter denken: „Wenn du dich bei Oma gut benimmst, dann bekommst du dafür Anerkennung“. Oder wahlweise auch gern genommen: „Wenn du dich liebevoll um dein kleines Geschwisterchen kümmerst, dann wirst du von deinen Eltern gelobt und anerkannt“. Anstatt des Geschwisterchens werden auch gern gute Noten in der Schule genommen…


Aus Es und Über-Ich bildet sich dann bis zum Alter von etwa vier bis fünf Jahren das Ich aus. Das kann sich allerdings noch lange, lange Zeit verändern.


Dieses Modell blieb nicht unkritisiert - seit Freud sind immerhin einige Jahre vergangen. Aber für das Erlernen von Glaubenssätzen ist es durchaus ganz gut zu gebrauchen. Kinder beginnen sehr früh, Überzeugungen über sich selbst und die Welt um sie herum zu entwickeln. Und diese Überzeugungen haben sehr, sehr viel Zeit, sich so richtig festzusetzen. Das, was dabei entsteht, ist genau das: Glaubenssätze.


Und nein, in der Regel sind diese Glaubenssätze nicht bewusst. Sie sind durch jahrelanges Lernen tief ins Unterbewusstsein eingegraben. Und sie zu identifizieren ist nicht ganz so einfach wie sich das so mancher vorstellt.


Da ist er also, der erste Pferdefuß für den praktischen Tipp: „Du musst einfach deine Glaubenssätze über Bord werfen“. Bei mir hat es übrigens einige Monate Psychotherapie gebraucht, um zu erkenne, was meine Berufswahl mit den Glaubenssätzen aus meiner Kindheit zu tun hatte. Jede Menge. Was ich vorher übrigens rigoros abgestritten hätte ;-). Die Zusammenhänge waren eben unbewusst und daher bin ich auch nie auf die Idee gekommen, sie zu hinterfragen. Logisch eigentlich: Was einem nicht bewusst ist, wird auch nicht hinterfragt.


Ok, nehmen wir aber nun mal an, dass es tatsächlich ohne Unterstützung durch Menschen, die tatsächlich etwas davon verstehen, gelungen ist, den einen oder anderen Glaubenssatz zu identifizieren. Dann kommt die „Neuprogrammierung“. Klingt total easy, oder? Da muss man halt nur eine Programmiersprache kennen und dann geht das ratzfatz.


Nee. Tut es nicht. Wie gesagt: Die meisten Glaubenssätze so tief im Unterbewusstsein verwurzelt, dass es eben nicht „einfach mal so“ gelingt, sie über Bord zu werfen und neu zu formulieren. Laut Ottilie Normal-Influencerin reicht es zwar schon, sich morgens im Spiegel anzusehen und sich fünfmal zu sagen „Du bist gut genug“. Äh Verzeihung, aber da lacht das Unterbewusstsein einfach mal kurz auf und zeigt euch bei der nächstmöglichen Gelegenheit, was ne Harke ist. 


Ha, ich habe gerade bei Instagram unter dem Hashtag #glaubenssätze eine noch viel bessere Möglicheit gesehen: Wenn man auf seine Schläfen klopft, während man sich sagt, dass man gut genug ist, und anschließend ein großes Glas Wasser trinkt, dann funktioniert das noch viel besser also ohne Klopfen! Wenn man das nämlich 14 Tage lang macht, dann hat man`s geschafft. Die alten Glaubenssätze sind transformiert. Und wenn das nicht klappt -weil man es doch nicht so drauf hat - dann bucht man einfach für nur 299 Euro den Mini-Online-Kurs von Schießmichtothassenichtgesehen und dann wird man ein neuer Mensch.


Was für ein bullshit.


Und ja, man kann Glaubenssätze verändern. Sein eigenes Ich zu verändern, dazu ist es nie zu spät. Aber durch Affirmationen, Klopfen und mit einem großen Glas Wasser hat das nix zu tun. 


Das ist harte Arbeit, die man am besten gemeinsam mit einem Psychotherapeuten macht. Ihr wisst schon: Einer, der das gelernt hat, und zwar nicht in der Instagram-, Youtube- oder Tik-Tok-Akademie. Sondern so richtig.


Der Schlüssel heißt Tiefenpsychologie oder kognitive Verhaltenstherapie. Und es ist kein Zufall, dass „richtige“ Therapeuten dafür erst fünf Jahre studieren bis zum Master und anschließend eine mehrjährige Therapeutenausbildung anschließen. Und dann ganz ohne Klopfen. Ein Glas Wasser gibt es aber in jeder Therapiestunde gratis.


Wobei die Sache mit dem Klopfen, besser bekannt als Eye Movement Desensitization and Reprocessing tatsächlich eine anerkannte Therapie ist. Die bei der Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen hilft. Weniger bei der „Umprogrammierung“ von Glaubenssätzen. Aber das nur am Rande…


Wer wirklich daran arbeiten möchte, seine alten Glaubenssätze über Bord zu werfen - wie gesagt, das ist durchaus möglich - der sollte sich bewusst sein, dass das nicht einfach und kein Spaziergang ist. Und sich qualifizierte Hilfe suchen. Und dann lohnt es sich tatsächlich. Denn während der Arbeit kommt einiges ins Rollen. Hab`s für euch ausprobiert :-)


Allerdings: Reich bin ich dabei auch nicht geworden. Wird in der Instagram-Akademie auch gerne mal versprochen. Reich wird genau einer: Derjenige, der euch seinen super-duper-Klopf-Kurs verkauft :-)


Liebe Grüße

Fran

Kommentare

  1. Hi Fran, ich lese hier immer noch regelmäßig und liebe deine Beiträge. Jetzt sogar noch mehr denn je. Zeit, mal wieder ein fettes Dankeschön da zu lassen. :-)
    Grüße, S.

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  2. Tja, nach dem anderen Trend kommen jetzt die Glaubenssätze. Ich stimme dir zu: Manche kann man enttarnen und beheben. Oder man bemerkt sie. Und kann sie beeinflussen oder beheben.
    Für alles andere benötigt es Hilfen. Professionell. Aber das ist ja bei einigen dieser Versprechen so. Wir wissen das und ich hoffe, viele andere auch.

    Liebe Grüße
    Nicole

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  3. Ich bin wirklich froh, dass mein Glaubenssatz zu mir gefunden hat. "Das Leben ist leicht." Zumindest habe ich es schon immer so empfunden. Ich habe lange nicht verstanden, warum es alle anderen nicht auch so empfinden.
    Vermutlich ist es immer gleich, egal ob man es als leicht oder als schwer beschreiben würde. Und es kommt 1. darauf an, was man "mitbekommen" hat, wie man es am besten nimmt. Und 2. was man selbst für Anlagen mitbringt.
    Ich stimme Dir vollkommen zu, mit dem Satz "nimmst wies kommt, es wird eh alles gut" kannst Du niemanden von dieser Tatsache überzeugen, wenn er andere Glaubenssätze im Gepäck hat.
    Aber vielleicht hilft es schon zu erkennen, dass man es sich nicht unnötig schwer machen muss. Das wünsche ich den Betroffenen zumindest.
    BG Sunny

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  4. Ob die Instas an die tiefenpsychologischen Glaubenssätze denken? Oder nicht eher Glauben und Satz, wie „ Du schaffst das 100.000 Follower zu erreichen“ 🤭
    Oder Du schaffst diese Prüfung. Musst nur dran glauben.
    Dachte immer das in der frühen Kindheit ist Prägung? Kenne mich da nicht aus, Du hast es jetzt gelernt. 😊
    Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag, noch aus Bangkok, liebe Grüße Tina

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  5. Also dass eine Neuprogrammierung mal eben so schnell und einfach von statten geht - da muss ich als Softwareentwicklerin vehement widersprechen! Die sprachlichen Fallstricke orientieren sich an der Komplexität der Gehirnwindungen und schnell hat sich ein Fehler eingeschlichen - den zu finden, kann dann einige Monate Psychotherapie/Fehlersuche nach sich ziehen 😵. Der Vergleich mit dem Seelenleben ist also gar nicht so weit hergeholt. Und viele Programme sind über die Zeit gewachsen, da hat man mal hier und mal da ein bisschen Code dazu gepackt. Kaum hat man den Fehler/Glaubenssatz identifiziert und behoben, fällt einem an anderer Stelle was auf die Füße. Ist ja alles miteinander verbunden. Wenn man allerdings gerade keinen Profi zur Hand hat, der mal eben ein Gedankenmuster umprogrammiert, dann hilft bestimmt auch Klopfen - mit einem großen, dicken Hammer, dann ist der Fehler/Glaubenssatz auch weg 😉

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