Direkt zum Hauptbereich

Schreckgespenst Psychiatrie



„Du warst in der Klapse?“, ist eine Frage, die ich in der jüngeren Vergangenheit nicht nur einmal gehört habe. Ja. War ich. Ich war acht Wochen lang in einer psychiatrischen Tageskinik, die der Psychiatrie einer großen Klinik angeglieder ist. Und ganz ehrlich: Als der Chefarzt die Gruppe begrüßte mit den Worten „Sie sind hier in der Psychatrie und Sie sind hier nicht ohne Grund“, wäre ich am liebsten wieder gegangen.


Psychiatrie, das war in meiner Vorstellung bis dahin ein Krankenhaus für Verrückte mit Zaun drumherum. Damit die Verrückten nicht ausbüxen und die Menschheit vor ihnen geschützt ist. Ein Krankenhaus, das man quasi nur mit Passierschein verlassen darf. In das man eingesperrt wird. Übrigens: Das ist völliger Quark. Das ist eine Vorstellung aus dem vorletzten Jahrhundert.


Der Normalfall in der heutigen Psychiatrie ist eine offene Station, die genauso aussieht und im Grunde genommen genauso funktioniert wie etwa eine chirurgische Station. Da gibt es Ärzte, da gibt es Therapeuten, da gibt es Krankenpflegepersonal. Man kann die Station verlassen, wann immer das möchte. Man kann Therapieangebote wahrnehmen. Man wird weder in eine Zwangsjacke gesteckt noch mit Medikamenten traktiert, die man nicht will.


Und ja, es gibt auch geschlossene Stationen. Aber um dorthin zu kommen, muss definitiv eine Fremd- oder Eigengefährdung vorliegen und die ist selten. Die kann man auch nicht ohne Weiteres verlassen. Aber wie gesagt: Die wenigsten Menschen, die in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden, sind in einer geschlossenen Station untergebracht. Der Normalfall ist eine offene Station, die sich in quasi nichts von der internistischen Station einer Klink unterscheidet.


Aber zurück zum Chefarzt. Das, was er gesagt hatte, war ein Grund für uns alle, erstmal zu schlucken. Denn in der Psychiatrie zu landen, das hatten wir uns nicht ausgesucht. Für niemanden aus unserer zehnköpfigen Therapiegruppe war das eine Situation, in der er oder sie sein wollte. Wir hatten eigentlich alle die Krankheit, unter der wir im Prinzip schon lange Zeit litten, nach Kräften ignoriert. „Wird schon wieder“ oder „ich muss mich einfach mal am Riemen reißen“, waren Sätze, die wir alle wohl tausendmal gesagt hatten. Aber es wurde nicht wieder. Es wurde immer schlimmer, bis wir allesamt tief in der Burnout-Spirale saßen und nicht mehr rauskamen.


Aber immerhin hatten wir zu diesem Zeitpunkt wenigstens das kapiert: Wir kamen da nicht alleine raus und brauchten Hilfe. Und genau dafür gibt es die Psychiatrie. Nicht, um gefährliche Verrückte wegzusperren. Sondern um psychische Erkrankungen zu heilen.


Wenn wir uns ein Bein brechen, ist es völlig klar, dass wir den Rettungswagen rufen und ins Krankenhaus wollen. Wenn wir unter einer schweren körperlichen Erkrankung leiden, ist ein Krankenhausaufenthalt die logische Konsequenz. Ist ja auch logisch. Da gibt es Menschen, die sich damit auskennen und die in der Lage sind, die Krankheit zu heilen. Kein Mensch schleppt sich mit einem gebrochenen Bein ins Büro. Niemandem ist es peinlich, aufgrund einer schweren körperlichen Erkrankung im Krankenhaus zu landen.


Aber wenn wir psychische Probleme haben, dann ist ein psychiatrisches Krankenhaus immer noch ein Schreckgespenst. Man weiß nicht, was einen da erwartet. Es ist unangenehm zu erzählen, dass man in einer Psychiatrie gewesen ist. Es ist ja schon peinlich genug zuzugeben, dass man bei einem Psychiater in Behandlung ist. Denn das sind ja schließlich Ärzte für Verrückte und verrückt möchten wir alle nicht sein.


Die Konsequenz: Man geht nicht hin. Man sagt sich, dass es so schlimm ja nun auch wieder nicht ist und dass es doch nun wirklich reichen muss, sich mal zusammenzureißen. Oder öfter mal spazieren zu gehen. Oder Vitamin D zu tanken. Wirkt ja auch gegen depressive Phasen. Was einen in der Psychiatrie erwartet, das wissen die meisten Menschen einfach nicht.


Ok, ich verrate es euch heute: Es erwartet einen ein Aufnahmegespräch, in dem man mit Ärzten und Therapeuten, die etwas davon verstehen, erst einmal erzählt, wie es einem geht. Die kluge Fragen stellen, um herauszufinden, worunter der Mensch vor ihnen leidet und was ihn dort hingebracht hat. Die empathisch und wahnsinnig freundlich sind.


Es erwarten einen unglaublich freundliche Menschen und viele, viele Schritte, die dabei helfen, die Krankheit, unter der man leidet, zu heilen. Nicht mit dem Skalpell, sondern mit ganz anderen Mitteln: Da gibt es Gesprächstherapien einzeln und in Gruppen. Da gibt es Kurse, um Entspannungstechniken von Achtsamkeit über Muskelentspannung bis Qi Gong zu erlernen. Da gibt es Kochgruppen, in denen man viel über gesunde Ernährung lernt. Da gibt es Sportgruppen, in denen man sich bewegt - von Nordic Walking bis Yoga. Es gibt Freizeitgruppen, in denen man neue Hobbies entdecken kann. Und da gibt es die sogenannte Psychoedukation. In diesen Stunden lernt man viel über die Krankheit, unter der man leidet: Wie sie entsteht und was man dagegen tun kann. Und vor allem: Dass psychische Krankheiten genauso „normal“ sind wie körperliche Krankheiten. Und nicht zuletzt hat man Menschen um sich, denen es genauso geht wie einem selbst. Es kann ungeheuer befreiend sein, wenn man auf diese Weise erfährt, dass man nicht der oder die einzige mit einer psychischen Erkrankung ist.


Ach ja, und da ist noch was: Wenn man es möchte, wird man auch mit Medikamenten versorgt. Das ist übrigens kein Muss. Man hat jederzeit die Wahl, Medikamente zu nehmen oder es nicht zu tun. Denn da hätten wir schon das nächste Stigma: Antidepressive. Wer sowas nehmen muss, hat ja wohl im Leben versagt… ist eine gängige Meinung.


Und auch das ist Blödsinn. Aber darum geht es dann in der nächsten Woche.


Liebe Grüße

Fran

Kommentare

  1. Schön dass Du ansprichst wie das Umfeld gern reagiert. Ich beobachte, dass es heutzutage schon nicht mehr so „exotisch“ ist, zum Psychotherapeuten zu gehen.
    Da flüstert niemand mehr verschämt, wenn er an der Anmeldung eine Überweisung verlangt. Ein Glück. Körperliche und psychische Gesundheit hängt ja meist zusammen, das sollte man wirklich nicht unterschätzen und die Profis der Psychiatrie wissen es zu helfen. Auch, wie man so schön an Deinem Foto sieht, bei ungewöhnlicher Vergesslichkeit, sollte man sich helfen lassen in der Memory Clinic. Bei uns in Mannheim heißt es Gedächtnis Ambulanz.
    Ich kann mir vorstellen, dass Deine Reihe hier vielen Menschen Mut macht.
    Ich wünsche Dir ein wunderschönes Wochenende, liebe Grüße Tina

    AntwortenLöschen
  2. Ich hätte dieses Wort Klapse niemals benutzt. Aber es ist interessant zu lesen, dass es in einer scheinbar aufgeklärten Welt immer noch Menschen gibt, die das tun.
    Gut finde ich auch, dass du immer wieder an deinem Beispiel erklären kannst, dass auch du diese 'Das kann doch gar nicht sein'- Sperre hattest.
    So wie es Menschen gibt, die scheinbar immer noch glauben, dass Burnout ein Modewort ist.
    Wir hatten hier gerade gestern ein tiefes Gespräch über diese Dinge.
    Darum finde ich deine sachlich-persönliche Aufklärung hier auch wichtig.
    Es gibt Länder, da ist es extrem modern, einen Therapeuten zu haben. Wir sollten einen guten Weg und einen noch besseren Umgang mit diesen Dingen finden.

    Liebe Grüße
    Nicole

    AntwortenLöschen
  3. Unsere 88 jährige Nachbarin ist seit heute wieder zu Hause. Lt. Ihrer Tochter ist sie medikamentös gut eingestellt. Allerdings fehlt Ihr wohl, wie die Ärztin sagte, die Krankheitseinsicht. Wenn ich lese was Du schreibst, hat sich die bei Euch allen im Laufe der Behandlung eingestellt. Ich hoffe die Nachbarin stabilisiert sich weiter. Hmmm.
    BG Sunny

    AntwortenLöschen
  4. Ist das echt so, dass heutzutage die Psychiatrie noch als solches Schreckengespenst gesehen wird? Okay, "Klapse" mag da ein flapsiger, scherzhafter Ausdruck sein, aber denken die Leute wirklich immer noch, man wird da eingesperrt? Ich weiß es wirklich nicht, da ich ja berufsbedingt schon keine Hemmungen und Hürden vor Psychiatrie und Co. mehr habe, die Kids haben z.B. alle ein Kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten. Manche waren und sind auch vorübergehend stationär untergebracht (mit und ohne Eltern), daher kenne ich die beiden großen Münchner Kinder-Psychiatrien ganz gut. Die sind übrigens immer voll belegt, Warteliste unendlich... ein Trauerspiel.
    Medikamenten gegenüber bin ich natürlich erstmal "vorsichtig" eingestellt, aber das bin ich beim Hausarzt auch (z.B. was Antibiotika angeht). Bei manchen geht es nicht ohne Methylphenidat (bei den Kids mit ADHS) oder - wie im o.g. Beispiel - Antidepressiva, bei anderen schon. und es verändert sich. Wichtig finde ich halt, dass das alles immer wieder überprüft, gut eingestellt und begleitet wird. Auch nicht selbstverständlich, hab da schon einiges erlebt.
    Was du beschreibst, klingt doch richtig gut. Ich bin dankbar, in einem Staat zu leben, wo es solche Möglichkeiten, solche Kliniken, Ärzte und Helfer gibt, wirklich dankbar.
    Liebe Grüße, Maren

    AntwortenLöschen
  5. Als gebürtige Schleswigerin weiß ich, was eine Psyhiatrie ist und wie unterschiedlich die Behandlungsformen sind. Meine Eltern haben beide im damaligen "Landeskrankenhaus" gearbeitet, zum Teil auch auf geschlossenen Stationen. Da war wirklich alles vertreten. Heute ist es alles ein bisschen moderner und nicht mehr so starr wie früher. Dass das Wort "Klapse" oder "Klapsmühle" immer noch nicht aus den Köpfen raus ist wundert mich angesichts der teilweisen Berichterstattung in den Medien aber nicht. Es müsste viel mehr Aufklärung stattfinden.

    Liebe Grüße
    Sabine

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Dieser Blog ist mit Blogspot, einem Googleprodukt, erstellt und wird von Google gehostet. Es gelten die Datenschutzerklärung & Nutzungsbedingungen für Googleprodukte.

Wenn Du die Kommentare zu diesem Beitrag durch Setzen des Häkchens abonnierst, informiert Dich Google jeweils durch eine Mail an die in Deinem Googleprofil hinterlegte Mail-Adresse.
Durch Entfernen des Hakens löscht Du Dein Abbonement und es wird Dir eine entsprechende Vollzugsnachricht angezeigt. Du hast aber auch die Möglichkeit Dich in der Mail, die Dich über einen neuen Kommentar informiert, über einen deutlichen Link wieder abzumelden.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ich im März gelernt habe

Meine Fashionregeln - eine Ü30-Bloggeraktion

Kleiderstange Urlaubsedition - Teil 2