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Und heute werden wir mal ganz persönlich… - Teil 2


Nachdem wir vor viel zu langer Zeit hier gelernt haben, wie man die Leser hinter die Kulissen des Influencer-Ich blicken lässt, damit die das Gefühl haben, dem Influencer quasi auf dem Schoss zu sitzen, kommt heute endlich die Königsdisziplin. Tut mir leid, dass das nicht früher geklappt hat. Aber das Leben kam dazwischen.

Aber zurück zum Thema:  Der Influencer ist nicht nur jemand, den man ganz genau kennt, sondern auch jemand, der durch und durch ein guter Mensch ist. Ist klar, denn der Leser soll ihm schließlich vertrauen. Nicht nur in Sachen perfekte Gesichtspflege, sondern auch in Sachen perfektes Auto, beste Lebensversicherung und bequemstes Klo. Und vertrauen sollte man, das haben uns schon unsere Eltern eingetrichtert, nur guten Menschen. Wie wird man also zum guten Menschen? Gehen wir also ans Eingemachte.

1. Ein bisschen schlechter Charakter muss sein

Es gibt vermutlich abseits von Mutter Theresa und mir niemanden, der ausschließlich über positive Charaktereigenschaften verfügt. Also geben wir es gleich mal zu. Wir haben auch miese Eigenschaften. Aber das sind natürlich die aus der Kategorie „völlig unwichtig“. Faulheit zum Beispiel. Dass man nicht die emsigste Biene unter der Sonne ist, ist völlig normal. Abgesehen davon kann man, wenn man zugibt, manchmal lieber einen Sonntag bei Netflix und Kuchen zu verbringen, auch seine Fähigkeit beweisen, ordentlich entspannen zu können. Und Entspanntheit ist total wichtig für einen Influencer. Kein Schwein will für ein verbissenes Fleiß-Biest gehalten werden. Was uns zum nächsten Punkt führt.

2. Entspanntheit ist Pflicht

Ein erfolgreicher Influencer gönnt seinen Konkurrenten den Erfolg. Das ist wie in Amerika. Da gönnt jeder bekanntlich jedem den allergrößten Erfolg, weil alle total entspannt sind. (Kurzer Einschub: Dieses Washington gehört gar nicht wirklich zu Amerika. Da habe ich mal in der US-Zentrale meines Arbeitgebers gearbeitet. Und - Überraschung - da gönnten ganz viele Kollegen ihren Kollegen ganz viele Dinge nicht. Deshalb KANN Washington gar nicht in den USA liegen. Nur damit ihr es wisst) Um die Entspanntheit zum Gipfel zu führen bietet sich Yoga an. Nein, ihr müsst nicht wirklich auf die Yogamatte. Aber so ein winzigkleiner Fotoshoot in einem Yogastudio tut nicht weh und die super-entspannten Bilder kann man immer wieder gebrauchen!

3. Niemals lästern. NIEMALS!

Und weil man so entspannt ist, würde man auch niemals über Kollegen lästern. NIE! Naja, auf jeden Fall nicht öffentlich. Man kann ganze Blogposts damit füllen, dass man selbst diese Lästereien ÜBERHAUPT nicht versteht und sowas nie tun würde. In einem solchen Fall sollte man allerdings Mails, in denen man hinter den Kulissen aus unerfindlichen Gründen doch in den Lästermodus verfällt, nur an 100-prozentig vertrauenswürdige Adressaten schicken und sich ihrer Freundschaft auf ewig versichern. Oder dafür sorgen, dass solche Mails sich nach dem Lesen von selbst löschen. Sicher ist sicher.

4. Das Glas ist immer halbvoll

Der Influencer ist der geborene Optimist. Nörgler, Pessismisten und Jammerer bitte in die Ecke. Ihr solltet das mit der Influencer-Karriere gar nicht erst in Erwägung ziehen. Gejammert wird gefälligst nicht. Das Glas ist eben halbvoll und das Beste kommt noch! Man will seine Leser ja schließlich inspirieren und nicht mit dem blöden, richtigen Leben demotivieren. Hände weg auch von Krankheiten. Die erwähnt man allerhöchstens, wenn man sie mit ganz viel Kraft und Stärke überwunden hat und wie ein Phönix aus der Asche steigt.

10. Tu Gutes und rede darüber

Selbstverständlich tut der Bilderbuch-Influencer täglich eine gute Tat. Und hört mir auf damit, alten Damen eine Platz in der U-Bahn anzubieten. Das ist booooooring. Der Influencer erledigt seine guten Taten online. Also im Prinzip ist er sowieso ein total guter Mensch, weil er seine tollen Inspirationen schließlich gratis unter die Leute bringt und dafür Tag und Nacht schuftet. Also so wie ich. Ich schufte am Tag in der Redaktion und tippe mir abends die Finger blutig. Jawoll! Ich bin ein guter Mensch, denn das tu ich natürlich nur, weil ich Euch alle inspiriern will. Dazu, gute Menschen zu werden zum Beispiel.
Der Influencer in Sachen Mode beispielsweise tut aber noch viel mehr! Der trägt nur extrateure Designermarken, um die armen Kinder, die in Textilfabriken in Bangladesh arbeiten, nicht auf dem Gewissen zu haben. Oder er trägt die blutgetränkten Fummel aus ebendiesen Fabriken, damit die armen Kinder wenigstens ihren Job behalten, mit denen sie ihre ganze Familie durchbringen. Oder aber er hat mal ein paar Euro für diese armen Kinder gespendet. Das sollte man dann natürlich höchst publikumswirksam an den Mann bringen. Man könnte ja vielleicht den Erlös eines bezahlten Blogposts spenden? Da fängt es dann an, witzig zu werden. Denn einerseits lohnt es ja sowieso nicht, bezahlte Blogposts zu schreiben. Dabei gelangt allerhöchstens eine symbolische Anerkennung auf das Konto. Ein paar Cent eben, mit denen man den Kaffee beim nächsten Stadtbummel bezahlt. Auf der anderen Seite kann man mit so einer Spende natürlich hervorragend demonstrieren, welch guter Influencer man doch ist. Es gibt also auch für Modeblogger ganz unterschiedliche Wege zum Glück.
Oder man lässt das Thema einfach im Dunkeln und verkündet drei- bis viermal im Jahr, dass man selbstverständlich spendet, aber die Summe doch lieber nicht erwähnt - die Neider sind ja überall. Dass man lediglich die Fummel aus der letzten Lidl-Kooperation in den DRK-Altkleidercontainer gestopft hat, geht auch niemanden etwas an. Spende ist Spende.
Wichtig ist einzig und allein Eines: Wenn ihr eine gute Tat tut, solltet ihr dringend ein bis drei Blogposts darüber verfassen. Sonst kriegt das im schlimmsten Fall keine Sau mit :-)

Wenn ihr diese fünf Punkte beachtet und selbstverständlich entsprechend berücksichtigt, dürfte Euch in absehbarer Zeit ein Heiligenschein wachsen. Weil ein Heiligenschein bekanntlich gelb ist, ist der im kommenden Sommer voll im Trend. Wer jetzt beginnt, schafft das bis spätestens zum Mai!

Liebe Grüße

Fran

Kommentare

  1. Oh ja, so empfinde ich es auch wenn ich bei manchen Sonnenscheinchen mal durchscrolle. Wobei ich zugeben muss, auch gerne als eher positiver Mensch durchs Leben zu gehen, selbst wenn dahinter nicht alles rosig ist. Damit motiviere ich mich selber. :)

    Liebe Grüße <3

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    1. Ich mag positive Menschen und bin selbst auch definitiv kein Trauerkloß. Aber diese immerwährenden "positive vibes" gehen mir zeitweise auch mal auf die Nerven.

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  2. Sorry, Leute. Aber ich bin wirklich ein Sonnenscheinchen. Ein faules noch dazu. Und wenn ich die vielen Menschen so sehe. Egal ob online oder "echt", die sich regelmäßig an den Rande der Erschöpfung bringen und sich nötige Entspannungsphasen versagen. Dann muss ich einfach meinen Mund aufmachen. Dieses sich abbuckeln, das kann ich mir einfach nicht anschauen. Es muss Zeit für Müßiggang bleiben. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter und sind von unseren Lehensherren abhängig.
    .
    Und ja, das Glas ist immer halbvoll. Ich bin zwar nur ein klitzekleiner Influencer aber ein riesengroßer, geborener Optimist.
    .
    BG Sunny
    .
    Niemals lästern. NIEMALS!
    Da muss ich lachen. Unlängst bin ich in eine Insta-Storrie gestolpert wo eine Influencerin ganz ungeniert über Fotos von anderen gelästert und sich über die Zahl der erhaltenen Herzen "beschwert" hat. Ist schlechter Stil. Ja. Kann man nicht anders sagen.

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    1. Ach, die Menschen, die am lautesten brüllen, dass sie niemals im Leben lästern würden, sind in der Regel diejenigen, die gern mal einen Lästeranfall kriegen, scheint mir.
      Und Zeit für Müßiggang? Klar muss die sein. Ich habe ja nun auch Phasen, in denen viel Arbeit anliegt. Aber mein Leben so durchzuoptimieren, dass keine Zeit fürs Nichtstun bleibt, kann und mag ich mir nicht vorstellen.

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  3. Toller Beitrag! Oh je....Dieses Thema habe ich auch die letzten Tage ab und zu mal angesprochen und nachgedacht. Einen Blog schreiben hat sich sehr stark verändert über den letzten Jahren. Es ist manchmal ein Kampf ums "Überleben", und dafür "muss" man das Spiel mitmachen... und doch, ich bin immer noch der Meinung, dass man es absolut nicht muss. Blog schreiben und lesen macht mir Spaß, und wenn es mal nicht mehr so ist, werde ich es definitiv sein lassen...
    Ich gebe es aber ehrlich zu: Ich bin kein Influencer, bin ich aber der geborene Optimist, würde niemals öffentlich über Kollegen lästern, ich habe nichts dagegen, dass jemand für meinen Verein KINDERN HELFEN e.V. spendet und "gelb" trage ich auch sehr gern, sogar morgen! ;)
    Liebe Grüße,
    Claudia

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    1. Ja, so ist das wohl. Wenn der Blog für das gedeckte Konto sorgt, ist es halt schwierig. Ich bin sehr froh, dass ich über diese Alternative nie auch nur ernsthaft nachgedacht habe. Job ist Job und Blog ist Spaß.
      Öffentliches Lästern - das macht man ja nun auch nicht. Das geschieht doch bitteschön im kleinen Kreis ;-) Und gelb steht dir sensationell gut. Da bin ich etwas neidisch.

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  4. Also, MEIN Heiligenschein ist nicht gelb, sondern silbrig, wie der eines Engels, hihi... manchmal nur verfärbt er sich rabenschwarz. Hm, das sind dann die Tage, an denen ich ein paar Selfies von mir auf der Yogamatte poste, dann geht's schon wieder... :-DDD
    Ich weiß, das wird mir jetzt wieder keiner glauben, aber trotzdem ich Deinen Post superklasse und mega-amüsant finde, kann ich da gar nicht mitlästern, äh, -reden, weil ich 1. Intagram nur vom Hörensagen kenne und 2. weiß ich bis heute nicht genau, wer zu den Influencern gehört und wer nicht. Aber durch Dich bilde ich mich stets weiter...! Also, bitte sowas weiterschreiben, ich liebe Deine ironischen Posts!
    Liebe Grüße, Maren

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    1. Echt? Ein silbriger Heiligenschein? Womit putzt du den? Sowas hätte ich auch gern! Ich besitze ja nichtmal eine Yogamatte. Teufel aber auch. Ich habe nur eine ganz normale Gymnastikmatte. Und ehrlich gesagt, nachdem ich gerade etwas über Nano-Influencer las, würde ich mal sagen: Jeder ist ein Influencer. Also jeder, der einer sein möchte. Ob ganz normaler. Oder Micro. Oder Nano. Wir influencen uns so durch.

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  5. Die Zielgruppe. Ich frGe mich manchmal, ob so jeder Influencer weiß, was die Zielgruppe ist. Laut Instagram war meine vorwiegen männlich. Öh, jetzt ist sie zumindest vorwiegend weiblich.
    Böse Zungen würden jetzt behaupten, Influencer seinen das, was früher die Kandidaten bei Miss Wahlen waren: Was wünschst du dir?“Weltfrieden“
    In diesem Sinne, komm gut ins Wochenende
    Andrea

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    1. Au ja. Frieden auf Erden und eine gute Gesinnung für Jedermann :-)
      Und Zielgruppe? Egal. Hauptsache, die Zahlen stimmen. Alles andere dürfte relativ egal sein.

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