Wo waren wir in Sachen Stress beim letzten Mal hängengeblieben? Ach ja, bei der Resilienz. Ein hübsches Wort, das man gerade überall liest. Aber was ist das eigentlich?
Einen ersten Anhaltspunkt liefert die Herkunft des Wortes, nämlich vom lateinischen resilire. Das bedeutet abprallen oder nicht anhaften. Also das, was ein Ball tut, wenn er gegen eine Wand geworfen wird. Je nach Beschaffenheit der Wand hinterlässt ein durchschnittlicher Ball beim Abprallen keine Löcher in der Wand. Höchstens einen Schmutzfleck. Oft aber nichtmal das. Haben meine Kinder für euch ausprobiert.
Überträgt man das auf die Psychologie, dann prallen bei hoher Resilienz schwierige Umstände, persönliche Katastrophen oder eben auch Stress von einem Menschen einfach ab. Sie hinterlassen keinen bleibenden Eindruck. Hoch resiliente Menschen überstehen schwierige Situationen also ohne einen bleibenden Schaden.
Das Gegenteil von Resilienz ist die Vulnerabilität. Vulnerable Menschen werden durch die gleichen Situationen, die ein resilienter Mensch schadlos übersteht, verletzt. Wie schwer diese Verletzungen ausfallen, das liegt am Grad der Vulnerabilität.
Zusammengefasst: Menschen mit einer hohen Resilienz und einer geringen Vulnerabilität werden erst bei sehr viel Stress krank. Je geringer die Resilienz und je höher die Vulnerabilität, desto weniger Stress ist nötig, um krank zu werden.
Das erklärt übrigens auch das Phänomen, dass bei gleicher Belastung ein Kollege mit Burnout endet, der andere aber nicht. Aber wie kann das sein? Die Resilienz ist individuell. Sie hängt von sehr, sehr vielen Faktoren ab. Die reichen von Erfahrungen in der Kindheit über Schicksalsschläge bis hin zu genetischen Faktoren.
In der klinischen Psychologie gibt es das Vulnerabilitäts-Stress-Modell, das die Entstehung von psychischen Krankheiten erklärt. Dabei wird die individuelle Vulnerabilität eines Menschen mit einem Fass vergleichen. Jeder Mensch ist ein Fass mit ganz unterschiedlichem Fassungsvermögen, für Stress beispielsweise. Bei dem einen läuft das Fass schon nach drei stressigen Wochen über. Bei einem anderen erst nach drei Monaten. Aber wenn das Fass überläuft, dann kann sich daraus eine psychische Krankheit entwickeln. Ein Burnout beispielsweise.
Im Prinzip liegt beim Fass die Lösung auf der Hand: Es braucht einen Überlaufschutz. Einen Auslass, das dafür sorgt, dass das Fass eben nicht überläuft. Den nennt man dann Resilienz. Alternativ muss man dafür sorgen, dass nicht mehr und mehr Stress in das Fass gegossen wird, aber das kommt erst in Schritt zwei.
Und wie geht nun Resilienz? Kann man das lernen? Gute Nachricht: Ja, kann man. Das ist allerdings ein ganzes Stück Arbeit. Resilienz kommt nicht angeflogen und „Resilienter werden in drei Tagen“ funktioniert in der Regel nicht. Ein Buch zu lesen reicht auch nicht.
Man kann Resilienz lernen. Der Pferdefuß: Es dauert. Und es macht Arbeit. Den 7-Punkte-Plan, den man fix mal in drei Tagen abhakt und wie durch Zauberhand und ohne viel Mühe resilienter ist, den gibt es nicht. Ebensowenig wie die zehn Life-Hacks, die garantiert und sofort stressresistent machen. Und falls ihn euch jemand verspricht: Nehmt die Beine in die Hand und lauft. Das ist ungefähr genauso seriös wie die Burnout-Privatklinik, die den gestressten Manager innerhalb von sieben Tagen wieder gesund macht.
Daher gibt es jetzt auch von mir nicht die drölfzig Tipps, um übermorgen die Queen of Resilienz zu sein. Aber ein paar Dinge könnt ihr durchaus tun - und zwar über die Dinge hinaus, die man sowieso tun sollte: Sport treiben, sich gesund ernähren und regelmäßig Pause machen.
Sorgt für euch selbst
Und nein, es reicht in den allermeisten Fällen nicht aus, sich pro Woche gerade mal 30 Minuten für ein entspanntes Bad zu gönnen. Oder sich regelmäßig die Nägel zu lackieren. Wenn die Woche stressig war, kümmert euch um euch selbst genauso wie ihr euch um euer krankes Kind kümmern würdet. Ihr dürft einen ganzen Sonntagnachmittag einfach nur auf dem Sofa gammeln und lesen oder eine Serie bingen. Auch wenn der Wäscheberg noch so hoch ist. Um den kann sich ja vielleicht ausnahmsweise jemand anderes kümmern. Oder nötigt ihr euer krankes Kind zum Wäschefalten? Nö. Also tut das auch nicht mit euch selbst.
Wenn ihr Lust habt, macht einen Spaziergang. Oder holt euer Strick- oder Malzeug raus. Tut in eurer Freizeit Dinge, die ihr gern tut. Nicht nur Dinge, die „sein müssen“. Die laufen in der Regel nicht weg und sind auch in drei Tagen noch da.
Entspannen lernen
Es gibt reichlich Entspannungstechniken, die man teilweise online oder in Kursen, etwa bei der Volkshochschule, lernen kann. Letzteres hat den Vorteil, dass man dabei manchmal noch nette Menschen kennenlernt. Egal ob autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeit, Meditation oder der regelmäßige Gang in die Sauna, Tai Chi oder Qi Gong - es gibt so viele Arten zu entspannen. Sucht euch etwas davon aus und lernt es nicht nur, sondern macht es. Regelmäßig. Auch dabei kann es nützlich sein, das nicht allein zu tun. Denn eine Verabredung mit anderen sagt man nicht so leichtfertig ab wie eine Verabredung mit sich selbst.
Meditation und Achtsamkeit könnt ihr übrigens ab dem nächsten Jahr bei mir lernen. Das wird allerdings leider auf alle Hamburger und umzu beschränkt sein.
Soziale Kontakte pflegen
Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht andere Menschen. Trefft euch mit Freunden. Auch wenn ihr glaubt, dazu viel zu erschöpft zu sein. Sich in sich selbst zurückzuziehen ist in dieser Situation keine gute Idee. Es tut gut, mit anderen zu reden und dabei gar nicht selten zu erfahren, dass es ihnen genauso geht. Und vielleicht verabredet man sich dann ja zur wöchentlichen Sauna- oder Yogarunde?
Natürlich gibt es noch jede Menge weiterer Tipps in den einschlägigen Medien. Die lauten dann beispielsweise so: „Werden Sie zum Optimisten“. Äh ja. Klar. Schreibe ich auf einen Post-it, klebe ihn an den Kühlschrank und dann wird das schon. Nicht. Resilienz zu erlernen bedeutet auch, eigene Denkmuster zu hinterfragen und zu ändern. Und weil man diese Denkmuster teilweise seit Jahrzehnten verinnerlicht hat, ist das ganz sicher nicht einfach. Und es gelingt in den seltensten Fällen einfach so allein und aus dem Stand.
Daher: Wenn das Fass schon übergelaufen ist und sich die Situation nicht mehr wie „ganz schön stressig“, sondern kurz vor „ich weiß nicht mehr weiter“ anfühlt, wenn ihr kein Land mehr seht, euch immer weiter zurückzieht, völlig platt seid und zu nichts mehr Lust habt, dann holt euch Hilfe. Dann reichen auch ein bisschen entspannen, ein Quäntchen Sport und ein Gespräch mit der Freundin nicht mehr aus, sondern da muss dann ein Profi ran.
Ja, wo bekommt man denn nun Hilfe? Dazu gibt es nächste Woche mehr.
Liebe Grüße
Fran
Das klingt alles sehr einleuchtend. Man muss sich die Zeit einfach nehmen, um sich zu entspannen. Auch wenn es manchmal schwer fällt.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Sabine
Keine Zeit kann einem halt irgendwann in der Form auf die Füße fallen, dass man plötzlich sehr viel Zeit hat, die man gar nicht haben will... Hab ich ausprobiert, war nicht gut.
LöschenBeim lesen bemerkt das ich vieles davon genau so mache, gerade das mit dem faulenzen oder eben stundenlang gar nichts tun. Nenne das "ich habe schweres Blut" Da wo andere schon wild wuseln sitze ich noch seelenruhig da. Denn es geht sich alles immer irgendwie aus, auch wenns langsamer voran geht. Wünsche dir ein schönes Wochenende
AntwortenLöschenManchmal ist schweres Blut scheinbar eine gute Idee. Ich konnte das mit dem nichts-tun sehr lange gar nicht. Ging einfach nicht. Inzwischen habe ich es von der Pike auf gelernt.
LöschenVielen Dank für Deine Heranführung an dieses Thema. Ich glaube es schadet nicht, wenn wir alle uns damit etwas auseinandersetzten. Und etwas hellhöriger sind.
AntwortenLöschenBG Sunny
“Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.” Dieses wunderschöne Gänsehaut-Zitat von Camus ist für mich eine Metapher für Resilienz und was sie (für mich zumindest) bedeutet. Ich glaub ich bin hochgradig resilient, das sag ich jetzt einfach mal kackfrech. Und gleichzeitig nehme ich mir die Dinge schon sehr zu Herzen, bin hochsensibel, hör die Flöhe husten und bin somit ja auch definitiv "vulnerabel". Außerdem hatte ich das (ist mir ja auch peinlich), was man im Allgemeinen unter einer "schwierigen Kindheit" versteht. Aber irgendwie hat mich das alles trotzdem davor bewahrt, immer weiterzumachen und über meine Grenzen zu latschen. Vielleicht hab ich einfach früh angefangen, zu lernen...? Ich war und bin mir immer wichtiger als... andere... der Job... die "Kinder"... die Familie... die Freunde... der Partner. Ich liebe die alle sehr, aber mich liebe ich mehr. Punkt. Und wer soll sich denn um mich kümmern? Na, also!
AntwortenLöschenIch mag deine Posts über Burnout, diese Themen finde ich spannend! Lachen muss ich auch immer über dieses "Positives Denken"-Gesabbel und "Werden Sie zum Optimisten" in drei Tagen... Punkt 1: vermeiden Sie Depressionen! SO einfach.
Liebe Grüße,
Maren
Damit, dass du dir immer wichtiger warst als alle anderen hast du definitiv etwas richtig gemacht. Bei mir war es genau das Gegenteil - eben auch ein Relikt meiner Kindheit, in der es immer wahnsinnig wichtig war, den Ansprüchen anderer zu genügen und Leistung zu bringen. Man kann eine Kindheit auf so viele Arten verkorksen.
LöschenHihi, und zum Optimisten bringen wir es doch auch in drei Minuten: Depression vermeiden und immer behaupten, das Glas sei halb voll. Und fertig ist der Vorzeige-Optimist!
Danke für deine Posts. Im Moment eher Fass ohne Boden, aber den Boden seh ich schon. Aber irgendwann ist halt das Ende. Man hangelt sich von Ereignis zu Ereignis, kaum sieht man den Boden wums das nächste Ereignis. Das letzte war eigentlich ziemlich banal. Ein Telefonat im Büro, ein Satz von der Kollegin und eine Aufgabe vom Chef. Aus wars. Und mit ein bisschen Sport und Gequatsche ist es nicht mehr getan.
AntwortenLöschenLG
Ursula
Aua. Das klingt nicht gut, vor allem nicht die letzten Sätze. Ich glaube, ich kann das nachempfinden. Wenn ein Satz einer Kollegin und eine Aufgabe vom Chef einen umwerfen, dann ist es mit ein bisschen Sport ganz sicher nicht mehr getan. Hast du jemanden, der sich um dich kümmert und ein bisschen auf dich aufpasst?
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