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Von Optimismus und warum er manchen Menschen schwer fällt



„Mein Glas ist immer halb voll und genau so solltet ihr das Leben auch sehen“


Manchmal denke ich, dass in unserer digitalen Umwelt die Sache mit dem Optimismus ein wenig von oben herab klingt. In allen Lebenslagen optimistisch zu sein und vor lauter Freude auf den nächsten, wunderschönen Tag kaum schlafen zu können gehört ja schon fast zur Grundausstattung, die vom Durchschnittsmenschen gefordert wird. Und diejenigen, deren Glas eher halb voll ist, die werden bestenfalls bemitleidet. Im schlimmsten Fall werden sie entsorgt, weil „mit solchen Menschen“ möchte man sich gar nicht umgeben.


Optimismus ist etwas Schönes. Optimismus lässt uns an viele Dinge viel lockerer herangehen als sein Gegenpart, der Pessimismus. Optimismus ist einer der Grundpfeiler von Elan und Begeisterung. Wie gesagt: Optimismus ist toll.


Aber es gibt sie eben auch, die Pessimisten. Menschen, die nicht unbedingt daran glauben, dass alles gut für sie ausgeht. Woher kommt das? Das liegt ganz sicher nicht daran, dass ein Pessimist ein weniger wertvoller Mensch ist. Aber vermutlich hat er im Laufe seines Lebens die Erfahrung gemacht, dass eben am Ende nicht alles gut ist. Und diese Erfahrung wieder loszuwerden ist ein langer Weg.


Das geht schon in der frühesten Kindheit los. Wenn ein Baby schreit, dann gibt es zwei Möglichkeiten:


1. Seine Mutter nimmt es auf den Arm und findet heraus, warum das Baby schreit und erfüllt dann seine Bedürfnisse. Das kann Nahrung sein oder Nähe. Oder Wärme. Oder Trost. Oder eine Bauchmassage.


2. Oder die Mutter lässt das Kind schreien. Bis vor gar nicht so vielen Jahren war das die bevorzugte Variante. Schreien stärkt schließlich die Lunge. Haben Generationen von Müttern so gelernt und geglaubt


Was lernt das Baby aus Variante 2? Es lernt, dass seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden, dass niemand kommt und sich darum kümmert, warum es schreit. Zieht man das lange genug durch, ist das Ergebnis die sogenannte „erlernte Hilflosigkeit“. Das Baby lernt, dass es seine Situation selbst nicht verändern kann. Es ist hilflos und wird darin bestätigt.


Die erlernte Hilflosigkeit beschränkt sich nicht auf die früheste Kindheit. Sie entwickelt sich immer dann, wenn Menschen davon überzeugt sind, dass sie trotz all ihrer Bemühungen die Kontrolle über ihre Lebenssituaton verloren haben. 


Das Ergebnis dieser erlernten Hilflosigkeit ist fehlende Motivation, etwas zu ändern (weil das ja sowieso nicht klappt), Antriebslosigkeit (weil es ja eh nix nützt) und eben auch Pessimismus. Wenn man jahrelang von angeblich gut meinenden Menschen eingetrichtert bekommt, dass man XY eben nicht schafft, dann glaubt man das mit hoher Wahrscheinlichkeit eben auch.


Und was resultiert dann mit hoher Wahrscheinlichkeit daraus? Ein Mensch, der davon ausgeht, dass er hilflos ist, der an seiner Selbstwirksamkeit zweifelt. Er hat es schließlich lange genau so gelernt. Stichwort Glaubenssätze. Also Glaubenssätze im Sinne von Psychologie. Nicht das, wovon Coaches auf Instagram reden.


Das Resultat ist also vermutlich jemand, der eher pessimistisch ist. Der das Glas vor sich eher als halb leer als halb voll empfindet. Ist er deswegen ein Mensch, den man, weil man selbst ja vor Glück strahlt, eben mal im Vorbeigehen von oben herab behandeln darf? Frei nach dem Motto „Du bist mir mit deiner ewigen Hilflosigkeit und Schwarzseherei zu anstrengend und könntest mich sogar runterziehen…“. Wer sich hier runterziehen lässt, bei dem ist die Sache mit dem Berufsoptimismus übrigens wohl nicht so ganz ausgeprägt. Aber das soll hier gar nicht das Thema sein.


Und wie löst man das Problem jetzt? Kann man die erlernte Hilflosigkeit auch wieder verlernen? Ja, kann man. Und wie geht das?


An erster Stelle steht wieder mal das, was da immer steht: Das Bewusstsein. Denn bevor man etwas tun kann, muss man sich erstmal der Tatsache bewusst werden, dass da was nicht stimmt. Und gar nicht selten ist dieser Schritt der schwierigste Schritt.


Helfen kann übrigens auch hier mein Lieblingsthema, die Achtsamkeit. Mit ihrer Hilfe können wir erstmal erkennen, dass wir uns hilflos - oder eben wenig zuversichtlich - fühlen. Und wir können das nicht nur erkennen, sondern auch aushalten und akzeptieren. Ein bisschen Selbstmitgefühl kann dabei übrigens nie schaden. Und nein, Selbstmitgefühl ist kein Suhlen im Selbstmitleid. Man leidet nicht mit. Aber man kann sich selbst sagen, dass das gerade eine schwierige Situation ist und sich quasi selbst über den Kopf streicheln und Zuversicht vermitteln.


Und dann kommt der nächste Schritt, der ebenfalls gar nicht so einfach ist: Hat man erkannt, dass man hilflos ist, kann man dagegen arbeiten. Man kann überlegen, was man gegen dieses Gefühl tun kann und Strategien entwickeln, die Situation trotz des Gefühls der Hilflosigkeit zu bewältigen. Das sind Momente, in denen man seine mühsam aufgebaute Komfortzone dann mal verlassen muss. Aber in dem Moment, in dem das klappt, kommt auch das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit.


Ja, und so kann tatsächlich Schritt für Schritt aus der Hilflosigkeit das Vertrauen darin wachsen, dass man eben nicht hilflos ist, sondern etwas tun kann. Und irgendwann wird aus dem Pessimisten jemand, der zuversichtlich ist.


Am besten und effektivsten lernt man das in einer Therapie - bei einem qualifizierten Therapeuten, der etwas von der Psyche versteht. Alles andere könnte mehr schaden als nützen. Aber es gibt durchaus auch das eine oder andere lesenswerte Buch in dieser Richtung - sucht mal nach dem Thema Selbstmitgefühl.


Liebe Grüße

Fran

Kommentare

  1. Deine Erklärungen sind wie immer sehr schlüssig. Aber natürlich bestimmen Ausnahmen die Regel, denn wenn ich mir heute manche 'Erziehung' oder Haltung mit und bei Kindern so anschaue, was vermeintliche Zuwendung betrifft, dann ist da auch einiges noch nicht gut gelöst. Sanft ausgedrückt.

    Natürlich prägen Eltern den Menschen, natürlich bleibt vieles, was heute modern als Glaubenssatz bezeichnet wird, verankert. Man kann solche Dinge aber auch für sich 'lösen' oder bessere Entscheidungen treffen. Ich mag jetzt nicht so sehr ins Detail gehen.
    Wenn man das nicht schafft, finde ich es sehr richtig und wichtig, eine Therapie zu machen.

    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Natürlich ist heute nicht alles überall gut. Und ich fürchte, das wird auch nie so sein. Kinder sind nun mal die Schwächsten in unserer Gesellschaft und die leiden logischerweise am häufigsten.
      Und natürlich kann man Dinge für sich lösen. Das haben wir vermutlich alle getan, indem wir Dinge anders machen als unsere Eltern sie uns vorgelebt haben. Aber grundsätzlich hatten wir vermutlich mit unseren Eltern Glück, auch wenn vielleicht nicht alles toll war. Es gibt aber eben auch Überzeugungen, die so tief verankert sind, dass sie einem gar nicht bewusst sind, dass man nie auf die Idee kommt sich zu fragen, warum das so ist und ob das so sein muss. Und solche Überzeugungen können einem das Leben ganz schön schwer machen. Ich war beispielsweise immer der Überzeugung, mein Perfektionismus sei eine Charaktereigenschaft. Ist er nicht. Er ist das Ergebnis meiner Erziehung. Und seitdem ich das weiß, kann ich das eben auch ändern.

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  2. Wenn Lucia meckert ist sofort jemand da und findet heraus was sie braucht, Ich habe nicht das Gefühl, dass sie das ausnutzt. Im Gegenteil, bisher ein fröhliches, ausgeglichenes Kind.
    Selbstmitgefühl habe ich noch nie gehört. Wieder etwas gelernt. 😊Liebe Grüße Tina

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  3. Das klingt wie immer sehr vernünftig, was Du da schreibst, Fran.
    Von Schreien stärkt die Lungen habe ich auch schon gehört. Was für ein Käse. Also, das kann natürlich sein. Aber wenn ein Kind schreit, hat es meist einen anderen Wunsch, als den nach starken Lungen.
    BG Sunny

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  4. Meine Oma ließ meine Mutter als Baby auch schreien, weil sie das gelesen hatte, damals hat man so einen Bullshit geglaubt! Und einmal, als das Schreien nicht aufhörte, fand sie das Baby schon blau angelaufen - sie hatte sich dem Zipfel einer Wolldecke in den Mund gestopft.
    Das ist natürlich nicht das Forum, um über sowas zu schreiben, aber ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass ich überzeugt bin, dass unsere Eigenschaften oft die Folge unserer Erziehung bzw. den Erfahrungen und Glaubenssätzen sind.
    Und klar ist alles vergeben und (zum Teil) vergessen, aber dennoch bin ich geprägt von diesen Erfahrungen. Auch, wenn es mir inzwischen weitgehend bewusst ist und ich dagegen steuern kann. Ich weiß z.B. ganz genau, warum ich eine regelrechte Panik vor Abhängigkeit jedweder Form hatte und noch habe. Ich finde menschliches Verhalten nicht immer "gesund", aber es ist immer logisch. :-D
    Du hast es wieder sehr einleuchtend auf den Punkt gebracht.
    Liebe Grüße, Maren

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  5. Schlimm war das früher mit der "Erziehung" von Babys. Als wenn man so kleine Wesen schon erziehen könnte. Mir wurde auch ständig geraten, meine Kinder schreien zu lassen. Was ich natürlich NICHT gemacht habe. Und zum Glück bin ich selbst eher ein Optimist.

    Liebe Grüße
    Sabine

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  6. Sich aller Pessimisten entledigen, damit man als erfolgreicher Berufsoptimist durch Leben spazieren darf - auch eine Methode 🙄
    Wer sich so verhält, braucht sich auf seinen Charakter nicht viel einbilden. Klar gibt es Menschen, die in ihrer Negativität manchmal echt anstrengend sein können. Aber für die ein offenes Ohr zu haben und da zu sein, ist für einen "echten" Optimisten genauso selbstverständlich, wie auch die eignen nicht so optimistischen Phasen anzunehmen.
    LG
    Vanessa

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  7. Das Leben mit seinen Höhen und Tiefen bringt eine Reihe von Hindernissen und Herausforderungen mit sich, die auf die passenden Lösungen warten. Wenn ich in meinen Beziehungen immer einem Pessimisten begegnet wäre, wären die Schwierigkeiten für mich viel schwerer zu lösen gewesen. Ich bin dankbar, dass das nicht der Fall war. Ich bin ein sehr optimistischer und realistischer Mensch – beides passt sehr gut zusammen.
    Und was ich von einer Mutter halte, die ihr Kind weinen lässt, um ihre Lunge zu stärken, möchte ich hier lieber nicht sagen... ;)
    Liebe Grüße,
    Claudia

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