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Warum good vibes only keine gute Idee sind

Bild: Pixabay


Wer nur gute Gefühle verspürt, der wird ganz sicher ewig glücklich sein. Könnte man glauben. Glauben auch ganz viele Menschen.Nicht umsonst lautet ein Ratschlag, der vor allem bei all den happy people finden sozialen Medien häufig zu hören ist, dass man alles aus dem Leben werfen sollte, was einem schlechte Gefühle bereitet.


Ich erinnere mich noch heute an eine Instagram-Story von vor einigen Jahren, in der eine Influencerin beschrieb, wie sie im Umfeld einer Kirche Fotos gemacht habe. Dann seien alte Menschen vorbeigekommen - mit Rollator! - und die hätten sich das ein wenig verständnislos angesehen. Ihr Resümee: Schrecklich sei das gewesen. Diese Menschen mit Rollatoren, die blöd geguckt hätten. Mit einem Rollator durch die Gegend zu tapsen - das könne sie sich für sich selbst nie vorstellen. So wolle sie nie werden. Ich hoffe wirklich, dass sie bis ins hohe Alter fit und mobil bleibt und nie durch eine Krankheit oder eben durchs pure Altern auf so ein Ding angewiesen sein wird und niemanden mit bad-Rollator-Vibes auf die Nerven geht…


Aber mal im Ernst: Ist es tatsächlich wünschenswert, nur noch erwünschte Gefühle zu fühlen? Ist es wirklich sinnvoll, alles aus seinem Leben zu werfen, was einem unangenehme Gefühle bereitet? Was macht man in diesem Fall, wenn einen Menschen, den man sehr gern hat, ein Schickslsschlag trifft? Wirft man den dann raus, weil er die good vibes stört?


Als vor fast einem Jahr mein Liebster zwei Schlaganfälle hatte, war ich verzweifelt, war ich oft traurig und noch öfter wütend. Alles unangenehme Gefühle, die kein Mensch haben will. Hätte ich einfach sagen sollen: Not my circus, not my monkeys? Komm wieder, wenn du fit bist. Solange du gehandicapped bist und womöglich am Rollator das Gehen neu lernst, habe ich keinen Bock auf dich, weil du meine good vibes beeinträchtigst? Ach ja, und beim Rauswurf aus dem schönen Leben hätte ich nichtmal ein schlechtes Gewissen haben dürfen, denn Scham ist eines dieser unangenehmen Gefühle, die man tunlichst vermeiden sollte. Ganz schön schwierig, so in der Praxis ;-)


In der Theorie der Psychologie ist es übrigens ganz einfach. Die sagt nämlich klipp und klar, dass Menschen, die unangenehme Gefühle vermeiden und ausschließlich die guten Gefühle an sich ranlassen, auf Dauer nicht sonderlich glücklich sind.


Warum das so ist? Weil es anstrengend ist, Gefühle wie Angst, Ärger, Wut oder Enttäuschung zu ignorieren und nicht in sein Leben zu lassen. Es gibt diese Gefühle und sie haben letzlich auch einen Sinn. Was passiert, wenn man versucht, sie einfach zu ignorieren, passiert etwas, was der ehemalige Skispringer Sven Hannawald gerade in einem Podcast wunderschön formuliert hat: Es ist, als wenn man einen mit Luft gefüllten Ball unter Wasser drückt. Das geht einige Minuten lang gut. Aber irgendwann kostet das so viel Kraft, dass der Ball nach oben schießt. Heißt: Wir haben nicht nur unnütz sehr viel Energie aufgewendet, sondern die Gefühle bahnen sich irgendwann mit Gewalt ihren Weg.


Das heißt jetzt im Umkehrschluss auch nicht, dass man sich in unangenehmen Gefühlen suhlen und im Selbstmitleid oder in Wut versinken sollte. Das führt auch zu nix. Unangenehme Gefühle zuzulassen heißt nicht, in ihnen zu versinken und aus dem Morast nicht wieder rauszukommen.


Wie kann man stattdessen mit unangenehmen Gefühlen umgehen? 


Schritt eins: Man muss sie erstmal bemerken. Klingt ein bisschen bekloppt, ist aber manchmal gar nicht so einfach. Wenn ihr schlecht drauf seid, versucht einfach mal in euch reinzuhören, was das auslöst. Seid ihr traurig? Oder ärgerlich? Habt ihr Angst? Oder seid ihr enttäuscht? Versucht mal, das Gefühl genau zu benennen.


Schritt zwei: Wehrt euch nicht gegen das Gefühl, sondern lasst es einfach da sein: Ja, dann bin ich halt heute traurig. Dabei hat mir die Achtsamkeit sehr geholfen. Die lehrt nämlich auch, solche Gefühle einfach mal völlig ohne Wertung wahrzunehmen. Frei nach dem Motto: „Hey Wut, da bist du ja. Setz dich und wir reden mal miteinander“


Schritt drei: Findet heraus, woher dieses Gefühl kommt. Was hat es verursacht? Vor was genau hast du zum Beispiel Angst? Woher kommt sie und hat sie einen Grund?


Kleiner Exkurs: Eine ganze Reihe von unangenehmen Gefühlen haben ihren Ursprung vor vielen Jahren, als wir noch mit Fellen bekleidet in Gruppen durch die Welt zogen und in Höhlen wohnten. Das Gefühl von Angst im Dunkeln zum Beispiel. Dunkelheit war damals durchaus gefährlich, wenn man allein war. Man sah nämlich den Säbelzahntiger nicht, wenn der sich näherte. Oder das Gefühl der Scham, wenn man die Regeln seiner Gruppe verletzt hatte. Dann drohte der Rauswurf aus der Gruppe und allein war man nicht lebensfähig.

Unser Gehirn hat mit der Neuzeit noch nicht so richtig Schritt gehalten. In ihm wirken noch immer Gedanken und Gefühle, die ein wenig aus der Zeit gefallen sind. Säbelzahntiger gibt es nicht mehr und die Gefahr, im Dunkeln vom Auto zum Haus zu gehen, hält sich in engen Grenzen. Trotzdem ist uns dabei manchmal unwohl. Wir können heute durchaus wunderbar alleine überleben. Trotzdem fühlt sich Einsamkeit manchmal lebensbedrohlich an.


Schritt vier: Wenn du den Grund für das Gefühl gefunden hast, hast du in sehr vielen Fällen auch die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun.

Du bist wütend, weil du dich schlecht behandelt fühlst? Dann such das Gespräch mit demjenigen, der dich schlecht behandelt hat.

Du trauerst um einen geliebten Menschen? Dann such dir Menschen, die dir Halt geben und dir in dieser Situation zur Seite stehen.Du hast Angst? Finde heraus, was genau dir Angst macht und versuche, diesen Punkt anzugehen. Phobien etwa sind relativ einfach durch eine Verhaltenstherapie lösbar.


Wie gesagt, es geht nicht darum, sich den unangenehmen Gefühlen hinzugeben und die Welt nur noch aus der Perspektive von Angst, Wut, Ärger oder sonstigen miesen Gefühlen zu sehen. Es geht viel mehr darum, die unangenehmen Gefühle erstmal einfach da sein zu lassen und sie dann zu hinterfragen. Das bringt auf Dauer so viel mehr als sie einfach nur zu unterdrücken oder zu ignorieren.


In diesem Sinne: All Vibes welcome :-)


Liebe Grüße

Fran




Kommentare

  1. Liebe Fran,
    was für ein beeindruckender und tiefgründiger Text - selten so einen Beitrag auf einem Blog gelesen. Mich hat gleich zu Beginn das Thema "Rollator" geschockt! Solche Menschen werden ganz schnell vom Schicksal eingeholt und hoffentlich geschüttelt. Ich habe meine Eltern über 5 Jahre betreut und versorgt und ich war froh, dass es diese Gehhilfe gab, denn sonst hätten sie niemals das Haus verlassen können und sich noch etwas am normalen Leben beteiligen können...

    Schicksalsschläge gehören dazu. Wie hat jemand vor kurzem in einer Talk-Show das ganze einmal beschrieben: Man nennt es LEBEN! und es wird jeden erreichen. Manche früher und manche später.

    Jeder hat gute und unangenehme Gefühle, wichtig ist, dass wir damit umgehen können. Und wichtig ist zu wissen, dass es jeden so geht. Manche erwischt es früher und manche später.

    In diesem Sinn, einen angenehmen Sonntag mit vielen Glücksmomenten
    Martina

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    1. Die Sache mit dem Rollator hat mich auch geschockt. Sie fiel mir wieder ein, als ich im Frühjahr 23 in der Reha-Klinik täglich viele Menschen zwischen 30 und 80 nach einem Schlaganfall gesehen habe, die mit Rollator wieder gehen gelernt haben. Einige von ihnen werden ihn für den Rest des Lebens benötigen - auch wenn sie gerade mal Mitte 30 sind. Und nein, ich wünsche solchen Menschen wie dieser Dame nicht, dass es sie mal trifft. Ganz sicher nicht. Aber ein wenig mehr Einfühlungsvermögen wäre schon eine gute Sache. Denn dummerweise kann es wirklich jeden treffen. Das Schicksal fragt nich nach dem Geburtsdatum oder den persönlichen Wünschen. Das schlägt zu.

      Und genau so wie du schreibst ist es: Jeder hat gute und unangenehme Gefühle und wichtig ist, dass wir mit beiden umgehen können. Und wer das kann, der kriegt auch das mit dem glücklichen Leben hin!

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  2. Dem Leben davon zu laufen bringt sicherlich nichts. Man sollte sich schon der Realität stellen. Man muss ja nicht gleich darin versinken. Du hast das sehr gut beschrieben.

    Liebe Grüße
    Sabine

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    1. Drin versinken ist genauso doof wie Ignoranz. Der Mittelweg ist derjenige, der einen weit bringt. Ist wie so oft im Leben :-)

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  3. Ich glaube alles sollte sich die Waage halten. Das ist das wichtigste.Es ist wohl so ein social media Gesetz, dass nur gute Vibes gezeigt werden, als wären die Instas etc. der Gattung der Glücksbärchies angehörig. Irgendwo habe ich joch einen Post in den Entwürfen, in denen ich mich auch darüber aufrege.🤭 Aber der hatte dann glaub zu viele bad Vibes.😂
    Die Sache mit dem Rollator wird sich für die junge Frau auch noch ändern. In der Jugend ist man oft ganz schön doof.
    Liebe Grüße Tina

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    1. Hihi, die Glücksbärchis waren hier definitiv auch schon Thema, lang ist's her. Ich mochte sie damals schon nicht, jetzt kann ich wenigstens fundiert sagen, warum das Glückbärchi-Dasein nicht glücklich macht :-)
      Und zum Rollator: Vermutlich sollten wir froh sein, dass irgendjemand das Ding erfunden hat. Es bringt soviel alten Menschen Mobilität, die sie ohne nicht mehr hätten. Und irgendwann gehören wir eben auch dazu.

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  4. Bad-Rollator-Vibes, auweia! Da hätte ich meinen Mann letzten Sommer auch rausschmeißen müssen. Der war mit seinem gebrochenen Fuß saufroh um das Ding, das seine Mutter noch im Keller gefunden hatte.
    Ohne all die schlechten Gefühle würden wir die positiven Dinge ja gar nicht mehr wahrnehmen. Man wäre gegenüber seinem Dauerglück ja auf die Dauer abgestumpft. Wie Tina es so treffend auf den Punkt bringt: in der Jugend ist man oft ganz schön doof!

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    1. Hihi, ich hatte sechs Wochen lang einen Rollstuhl, als ich mir das Sprunggelenk gebrochen hatte. Fuß belasten war streng verboten und transportier mal ohne Rollstuhl einen Kaffee von der Küche ins Wohnzimmer. Ich war soooo froh über das Ding.

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  5. Jetzt habe ich den Text zwei Mal gelesen. Und bin einfach baff. Gibt es denn wirklich Menschen, die Ihre Gefühle ignorieren? Das wäre mir so unmöglich, wie nicht zu atmen. Ich mache meinem Ärger immer Luft, da kann es dann schon Mal rumpeln. Dienstlich rufe ich erstmal den Kollegen an (29 Jahre "Zimmerfreundschaft") und tobe mich aus. Dann schlafe ich drüber und schreibe am nächsten Tag eine "unbeteiligte" Mail. :-)
    BG Sunny

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    1. Aber klar gibt es die. Die einen, weil es inzwischen ein Lifestyle ist. Dazu kannste sogar Bücher kaufen, die das ewige Glück durch das Unterdrücken von allen unangenehmen Gefühlen versprechen.
      Ich könnte das genauso wenig wie du und finde es auch nicht erstrebenswert. Zum Leben gehört nun mal die gesamte Klaviatur. Oder, wie Queen All sagt: Dauerglück macht nicht glücklich. Dauerglück ist eine Illusion und führt lediglich dazu, dass man abstumpft. Und nach dem nächsten Glücksversprechen sucht. Und so weiter.

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  6. Ich lebe alle meine Gefühle- to the fullest. Aber und das ist das Aber der Good Vibes: Ich versuche, dem Leben bei allem, was Mist ist, immer etwas Schönes abzugewinnen und sei es noch so klein.
    Auch an Tagen, an denen vermeintlich gar nichts geht.
    Die ewig sonnenscheinigen sind mir genauso suspekt wie die, die immer das Haar in der Suppe finden und dem Untergang mit ihrer ewig muffeligen bis schlechten LAune entgegenrasen.

    Ich bin Optimist, ich habe früh gelernt, wie böse und hart und schnell zu Ende dieses Leben sein kann. Darum versuche ich (ohne Unterdrückung) meinen positiven Vibes den Vortritt zu lassen. Aber die anderen stehen nicht in der Ecke.

    Und mein Dad hatte einen Spruch, der nicht internettauglich ist für die, die nicht alt werden wollen.
    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Wäre doch traurig, wenn man nicht versuchen würde, dem Leben täglich etwas Schönes abzugewinnen. Das gibt es definitiv auch an Tagen, die erstmal einfach blöd sind. Aber das ist auch gar nicht gemeint. Gemeint ist, einfach mal zu akzeptieren, dass es Momente gibt, in denen man wütend ist. Oder traurig. oder enttäuscht. Das erst gar nicht zuzulassen ist Schwachfug und macht definitiv nicht glücklich.

      Und alt werden wir alle - wenn wir Glück haben. Und das meine ich genauso wie es sich liest. Das einzige, was mich am Alter stört, ist die Tatsache, dass das Leben eben endlich ist. DAS finde ich blöd. Ansonsten liebe ich auch mit knapp 59 mein Leben sehr. Mit allen Höhen und Tiefen.

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  7. Bad-Rollator-Vibes!!! Brüll! Ich lach mich scheckig...! Ja, also wirklich, ich muss sagen, es ist aber auch echt unverschämt von den Oldies, die junge Frau in ihrer total positivity zu stören!
    Na ja, andererseits bezweifle ich, dass es Menschen gibt, die niemals ihre Gefühle unterdrücken. Ich denk eher, da hast du als Therapeutin mal ganz gut zu tun! Ich bin ehrlich, natürlich verdränge ich oft genug negative Gefühle, ganz einfach, weil nicht immer Zeit dafür ist, sie willkommen zu heißen und ihnen ein Tässchen Tee anzubieten... Aber ich glaube natürlich wie du, dass es auf Dauer nix bringt und nur anstrengt (guter Vergleich mit dem Luftballon unter Wasser!). Bei dieser Dauer-Positivity bin ich absolut d'accord, die nervt einfach nur...
    Ich habe auch dazu mal was geschrieben... vielleicht veröffentliche ich den Text am Sonntag nochmal, danke für die Inspiration und diesen superklasse Post, der m.E.n. wunderbar beschreibt, wie man am Besten mit negativen Gefühlen umgeht. Genau so nämlich!
    Liebe Grüße, Maren

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    1. Klar gibt es Situationen, in denen man Gefühle unterdrückt. Muss es vermutlich auch geben - ich kann ja nicht in jeder Situation mit allem herausplatzen. Nur zum Dauerzustand sollte das eben nicht werden. Das ist ungefähr so sinnig wie sich die Augen zuzuhalten und zu erwarten, dass man damit nicht mehr gesehen wird. Funktioniert bei Kindern auch nur, bis sie etwa zwei Jahre alt sind...
      Und ja, mach das mal am Sonntag. Ich schätze, ich würde es gern lesen!

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  8. Du hast eindeutig das Zeug zur Therapeutin!!
    Herzlichen Grüße, Uschi aus Bayern

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    1. Danke :-) Noch ist es nicht soweit - ein paar Weiterbildungen fehlen noch. Aber zum Jahresende geht es hoffentlich los.

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