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Diagnose Burnout: Das Glas ist halb voll - aber leider toxisch




Ihr kennt sie alle, die Kalendersprüche, die manche Menschen zu ihren Maximen erhoben haben und die gern mal auf Instagram geteilt werden, um zu zeigen, wie wahnsinnig positiv man doch ist.


Das Glas, das für jeden, der positiv denkt, halb voll ist, beispielsweise. Diejenigen, die das Glas als halb leer empfinden, sortiert man am besten aus. Das sind Loser.


Oder die Sonne, die hinter den Wolken scheint, auch wenn sie sich gerade nicht zeigt. Wer die nicht sieht, der sollte mal bitte seine negativen Vibes ausschalten. Dann wenn man sich erst der Negativität entledigt hat, dann sieht man sie auch, die Sonne.


Wohlklingende, aber letzlich belanglose Sprüche. Vergleichbar mit einem Poesiealbum, das alle, die heute Mitte 50 sind, als Kinder vermutlich hatten. Wunderbar geeignet, um sich in der virtuellen Welt als jemand darzustellen, dem die vielen positiven Vibes aus beliebigen Körperöffnungen kommen. Ist ja schließlich wichtig. Wer möchte schon jemandem folgen, der das nicht beherrscht? Wir suchen ja schließlich alle Inspiration und nichts, was uns runterzieht. Alles, was negativ ist, wird ausgemerzt. So gehört sich das.


Dumm nur, wenn jemand diese Sprüche wirklich ernst nimmt. Wenn es jemandem schlecht geht und er eigentlich Hilfe braucht. Und dann kommt so ein Positiv-Jünger daher und erzählt ihm, dass er doch einfach nur hinsehen muss, damit das Glas halb voll ist. Dass er doch einfach nur darauf vertrauen muss, dass die Sonne morgen wieder scheint. Oder dass er sich doch bitte zusammenreißen und dankbar sein sollte für das, was er hat. Dann kommt der Rest schon hinterher. Und falls nicht, richtet man einfach einen Wunsch ans Universum. Der erfüllt sich schließlich immer, wenn man es nur richtig macht.


So, und jetzt stellt euch mal vor, ihr erzählt das jemandem, der sich in einer depressiven Episode befindet. „Hab dich nicht so! Das Glas ist doch halb voll. Du musst nur hingucken! Die Sonne ist doch da und wenn du sie nicht siehst, bist du halt selbst schuld.“


Peng. Für jemanden, der die Sonne gerade nicht sehen kann und für den das Glas eben fast leer ist, sind solche Sprüche eine echte Klatsche. Wer sich in einer Depression befindet, dem geht es - sorry für die Deutlichkeit - scheiße. Und wenn der sich dann noch solche Sprüche anhören muss, dann geht es ihm garantiert im Anschluss nicht besser. Im schlimmstem Fall rutscht er noch weiter rein in die Depression, weil ja ausgerechnet er nicht in der Lage ist, Dankbarkeit zu spüren oder die Sonne auch nur ansatzweise zu entdecken. Damit versagt er also noch mehr als er es ohnehin schon tut.


Wenn man bei jemandem, der eine Depression hat, also nochmal so richtig nachtreten möchte, dann eignen sich solche Instagram-Weisheiten hervorragend. Habe ich für euch ausprobiert. Leider auf der falschen Seite.


Ich denke, ich weiß, warum ich schon immer eine echte Abneigung gegen diese Sprüche hatte. Im Poesiealbum taten sie niemandem weh. Kriegt man sie als wohlgemeinten Rat mit auf den Weg, wenn es einem mies geht, dann schon. Zumindest dann, wenn sie von angeblich ach so wohlgesonnenen „Freunden“ kommen.


Als ich in den ersten Wochen nach meinem Burnout-Kollaps steckte, war es auch so ein dämlicher Spruch, der mich echt umgehauen hat. Ich glaube, ich hatte es schonmal erwähnt. „Wer seinen Job wirklich liebt, der kann gar keinen Burnout bekommen. Der ist mit Begeisterung bei der Sache und davon kann man gar nicht krank werden“


Bäm. Da saß. Ich habe meinen Job geliebt. Ich habe streckenweise für ihn gelebt habe, er hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht und ich wollte nie einen anderen. Und dann kommt so ein Sprücheklopfer daher und erzählt mir, dass das ja gar nicht stimmt. Dummerweise war ich zu der Zeitpunkt, als mir jemand diesen Spruch - natürlich wohlmeinend - hinschleuderte, in keiner guten Verfassung. Folglich wurde eben diese Verfassung dadurch alles, aber nicht besser.


Ich hatte einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen anderen Menschen: Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine psychologische Begleitung. Und die half mir, derartige Äußerungen als das zu sehen, was sie sind: Toxisch. Wer diese Begleitung nicht hat, dem gelingt das vermutlich nicht so leicht. Der nimmt sowas ernst.


Genauso toxisch kann das halb volle Glas sein. Solange es mit hübsch bunten Schnörkeln verziert auf Instagram erscheint, ist es das, was es sein soll: Ein Spruch fürs Poesiealbum. Balanglos und beliebig.


Aber bitte: Lasst diese Sprüche einfach da, wo sie hingehören, wenn ihr mit jemandem redet, dem es wirklich mies geht. Akzeptiert einfach, dass für ihn das Glas gerade mal nicht halb voll ist und dass er eure Hilfe braucht. Und die besteht nicht darin, dass ihr ihm klarmacht, dass er das nur anders sehen und bitteschön dankbar sein muss, um künftig das allerschönste Leben zu führen.


Und wenn ihr das nicht könnt: Macht einfach das mit diesen „bad vibes“-Trägern, was ohnehin total hip ist: Schmeißt sie aus eurem Leben, in dem Negatives oder Depressives nicht geduldet wird. Vermutlich tut ihr ihnen damit einen großen Gefallen, denn damit erlöst ihr sie von sehr viel unnötigem Gift.


Liebe Grüße

Fran







Kommentare

  1. Ich bin mit jedem Wort, das Du schreibst, sehr einverstanden. Auch ich hab schon mehrere Posts über das Thema verfasst, z.B. über das so genannte "positive Denken". Mein Lieblingssatz dazu (und ich weiß noch nicht mal, von wem das Zitat eigentlich stammt) ist "Positives Denken ist der Versuch, der Scheiße ein Sahnehäubchen aufzusetzen!". Wenn ich das sage, ist die Wirkung oft sehr unterschiedlich, manche Menschen finden das "echt ganz schlimm" und unterstellen mir Sarkasmus und Negativität. Ok, bei Sarkasmus geb ich ihnen recht, da arbeite ich dran... :-D Aber - und das ist der Unterschied zu "pseudo-positiven" Menschen: ich bin ganz tief innen ein resilienter Optimist, wie einige Menschen, die mich gut kennen, bemerkt haben... und das ist für mich das Einzige, was zählt. Ich glaube daher, man sollte sich Resilienz "erwerben", nicht oberflächliche Positivität (äh... wie heißt das Nomen dazu?)
    Und das fu**ing Glas interessiert mich nicht die Bohne, ich stell einfach die volle Flasche daneben, dann kann ich nachschenken, oder?
    Liebe Grüße und weiterhin viel Erfolg bei Entgiften!
    Maren

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    1. Hmm. Für mich ist das immer eine Frage des "Einstiegspunkt".
      "Positives Denken ist der Versuch, der Scheiße ein Sahnehäubchen aufzusetzen."
      Jeder, jeder, hat Scheiße am Hacken. Manchmal dampft sie auch. Schlechte Laune und Negatives Denken ist für mich schlicht keine Option. Es ist anstrengend, macht es nicht besser.
      Deshalb denke ich lieber positiv, denn es hätte immer noch schlechter gehen können. Und es gibt genügend Beispiele, dass es immer noch schlechter geht.
      Man hat genau ein Leben, da steckt man drin. Und da muss man durch. Also hilft nur atmen. Weiter gehen und dabei den Mut nicht verlieren. Das ist mein Rezept. Und ich bin damit immer gut gefahren.
      BG Sunny

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  2. Also weißte, Fran,

    die Leute, die mir mit irgendwelchen dummen Sprüchen kommen, die habe ich mittlerweile aussortiert. Das zeigt mir doch irgendwie, dass die- oder derjenige überhaupt keine Lust hat, sich in meine Lage zu versetzen oder sich mit mir auseinander zu setzen.
    Husch, husch, schnell ein passender Spruch und jetzt belästige mich bitte nicht mehr mit deinen Problemen. Ich will schließlich mein Leben genießen. Aber wehe, wenn es derjenigen selbst schlecht ging, dann wurde meine Zeit und mein Zuhören gern in Anspruch genommen. ;-)

    Nöö, da bin ich mittlerweile raus und auf Strecke gesehen, ist das dann auch meistens kein Verlust.

    Liebe Grüße
    Claudia

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  3. Liebe Fran,
    manche dieser Sprüche und Weisheiten mag ich, ich poste auch gerne solche. Und grundsätzlich finde ich es auch überhaupt nicht verwerflich, das Schöne zu suchen und zu sehen. Oder zu lesen.Und weniger zu meckern oder zu lamentieren. Oder zu sagen, hey mein Glas ist halbvoll. Weil es einfach was macht. GRUNDSÄTZLICH...

    Aber gleichzeitig ist mir als denkender und mitfühlender Mensch durchaus bewusst, dass das in einem gesunden Menschen so ist und auch Freude macht.
    Wenn aber jemand erzählt, er sei an einer Depression erkrankt oder es gehe ihm schlecht, dann käme ich nicht einmal in meinen kühnsten Träumen auf die Idee so etwas zu sagen.

    Darum verstehe ich deinen Ärger gut, aber verteufeln möchte ich die teilweise sehr schönen und weisen Sprüche auch nicht.

    Alles Liebe
    Nicole

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  4. Da gehts mir ein bisschen wie Nicole. Auch ich finde, dass solcherart Sprüche ihre Berechtigung haben können, wenn man mal einen schlechten Tag hat. Und vor allem, wenn man sie sich selbst sagt.
    Natürlich sind sie vollkommen unangebracht bei einer Erkrankung wie Deiner. Allerdings vermute ich auch mal, dass einige Menschen damit gar nicht umgehen können und überfordert sind - ähnlich wie mit Trauer - und daher solche Sprüche loswerden, damit es nicht zu sehr an sie selbst herangeht.
    Liebe Grüße, Sieglinde

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    1. Ich denke das ist vermutlich tatsächlich der Grund. Oder einer der Gründe. Solche Sprüche sollen Optimismus verbreiten und aufmunternd wirken.
      Wer nicht weiß, wie sich eine Depression anfühlt, wird auch keine Ahnung haben, wie so ein Spruch wirkt.
      Man versucht ja selbst einem unheilbar Krebskranken gegenüber positiv zu sprechen.
      Hätte es Dir besser gefallen, wenn jemand gesagt hätte. Wow, Mensch, Scheiße Fran. Depressionen. Nicht, dass Du noch Medikamentenabhängig wirst, oder Dir vielleicht noch das Leben nimmst, alte Fischhaut.
      Es ist für "gesunde" Menschen wahrscheinlich das harmloseste zu sagen: das wird bestimmt bald wieder, mach Dir keine Sorgen, das ist ja heute gut behandelbar... so schlimm wird es schon nicht werden.

      Aus Deiner Sicht, was könnte man antworten was dem "Depressiven" hilft, wenn er einem von der Krankheit erzählt?

      BG und weiterhin gute Besserung
      Sunny

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    2. Ich bin da ganz genau so unterwegs wie die allermeisten Menschen. Erst mal positiv denken, anders wird es von ganz alleine wenn es blöd läuft.

      Und ja ich wüsste es auch gerne ....

      Aus Deiner Sicht, was könnte man antworten was dem "Depressiven" hilft, wenn er einem von der Krankheit erzählt?

      LG heidi

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  5. Ich finde, die Mischung macht's. Übertrieben positives Denken ist ebenso unangebracht wie ständig den Kopf in den Sand zu stecken. Von Natur aus bin ich ein positiver Mensch, aber ich sage auch wie es ist. Und manchmal ist das Glas eben halb leer.

    "Aus Deiner Sicht, was könnte man antworten was dem "Depressiven" hilft, wenn er einem von der Krankheit erzählt?"

    Würde mich auch interessieren.

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  6. Ich schließe mich Sabine an und zudem finde ich das Thema echt schwierig. Ich habe ja viel mit kranken zu tun und da ist das auch ein heikles Thema. Was habe ich meinem Papa Mut zur Chemo und Immuntherapie zugesprochen. Was hat es so toll geholfen zu Anfang. Gestorben ist er dennoch an seiner Krankheit. Wie macht man es richtig?
    Liebe Grüße Tina

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  7. Stell dich nicht so an, denk positiv hätte schlimmer kommen können, so schlimm ist es doch nicht... alles wird gut glaube nur daran.
    Worte die schlimmer sind wie töten.

    Ich verstehe genau was Du meinst. Du willst Hilfe bekommst keine weil verdammt noch mal eben kein Psychotermin zu bekommen ist so bei mir. Du steckst tief im Loch und willst raus und schaffst es nicht weil so schlimm ist ja das Problem nicht für die da draußen. Doch es ist schlimm. Es ist da und wird nicht weggehen. Man muss lernen damit zu leben. Da hilft wahrlich nicht dass die Sonne nur mal kurz hinter den Wolken ist.

    Reden - jemanden zum Reden der einfach nur zuhört. Nicht sagt, du schaffst das nicht sagt es wird schon werden. Einfach jemand der da ist. Wäre schön gewesen.
    Oder einfach fragt wie es mir dabei geht.

    Bei manchen reichts es zuhören, ein paar Therapiestunden, bei anderen widerum dauert es länger gar Jahre. Bei anderen ist es die Summe der Probleme und Sorgen bei anderen reicht ein Ereignis um aus der Bahn geworfen zu werden.



    Liebe Grüße Ursula


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    1. Hallo Ursula,
      es klingt in der Tat schlimm, was Du schilderst. Es bereitet einen auch keiner darauf vor, wie es sich anfühlt
      a) selbst eine Depression zu haben und
      b) zu artikulieren, was man dabei von anderen "braucht", die KEINE Therapeuten sind.
      Genauso weiß man als gesunder nicht was ein depressiver Mensch braucht.

      "Jemand zum Reden". Ist für mich immer was gegenseitiges. Einer erzählt, darf ausreden. Dann spricht der andere. Wenn mir jemand von einem Problem erzählt, dann setze ich alle Gehirnwindungen und anschließen Hebel in Bewegung, um ihm zu helfen das Problem zu lösen.

      Das NICHT tun zu dürfen würde mir tatsächlich "Schmerzen" bereiten. Es würde mich quälen und total runter ziehen. Ich müsste das Reden dann tatsächlich ablehnen. So zuhören, wie Du das brauchst, kann vermutlich nur jemand der das
      a) gelernt hat
      b) taub ist
      c) dafür bezahlt wird oder
      d) dem Du total egal bist.
      Allein die Vorstellung finde ich schrecklich. Ich würde mich richtig schrecklich fühlen.

      BG Sunny

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  8. Tut mir leid, wenn ich nicht alles sagen werde, was ich über das Thema denke, denn für mich ist es ein sehr komplexes und ernstes Thema, um in diesem Moment in einem Blog-Kommentar zu diskutieren. Ich weiß, was Burnout ist! Und was man in Moment der Krise denkt und fühlt, ist nicht dasselbe, was man denkt und fühlt, wenn die Krise endet.
    Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg bei deinen Therapien und viel Kraft für alles was noch auf dich zukommt!
    Liebe Grüße,
    Claudia

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