Wenn der vierjährige Adonay sich an seinen Vater Gidey schmiegt und mit seinen großen, strahlenden Kulleraugen zu ihm aufsieht, ist das für Gidey noch immer etwas ganz Besonderes. Der 30-jährige Eritreer, der seit gut einem Jahr in Winsen lebt, hat seinen Sohn nämlich vor einigen Wochen zum ersten Mal in seinem Leben in die Arme nehmen können. Bis dahin lagen über 10000 Kilometer zwischen Gidey und seiner Frau Mebrahit und Sohn Adonay. Dank der Unterstützung vieler Helfer vom internationalen Café in Winsen, vom Landkreis und vor allem durch Helmut Wenk aus Drage wurde für Gidey der Traum vom Zusammenleben mit seiner kleinen Familie in Frieden und Freiheit wahr.
Als Gidey sich im Dezember 2011 zur Flucht aus Eritrea entschied, war das eine der härtesten Entscheidungen in seinem bisherigen Leben. Seine Frau Mebrahit, die er kurz zuvor geheiratet hatte, war im vierten Monat schwanger. Doch für den Eritreer gab es wie für die meisten jungen Männer in seinem Heimatland keine Alternative. Wer nicht flüchtet, wird zum Militärdienst gepresst. Und der bedeutet Zwangsarbeit für unbestimmte Zeit. Wer keine Chance hat, sich herauszukaufen, weiß nicht, ob er seine Familie je wiedersieht. Also floh Gidey. Über Äthiopien und den Sudan, wo er 19 Monate eine Rikscha zog, um das Geld für den Schlepper zu verdienen, der ihn übers Mittelmeer bringen sollte. Das überquerte er mit knapp 300 weiteren Flüchtlingen in einem Schlauchboot. Als das Boot zwischen Malta und Italien in einem Sturm geriet, wurden sie von einem italienischen Polizeischiff aus Seenot gerettet und in Kalabrien abgesetzt. Von dort aus ging es für Gidey per Zug nach Deutschland. Im Oktober 2013 kam er in Drage an.
Inzwischen war auch seine Frau nach der Geburt von Adonay aus Eritrea nach Äthiopien geflüchtet. Aus dem Flüchtlingscamp, in dem sie gestrandet war, gelangte sie in die Hauptstadt Addis Abeba, wo sie bis vor kurzem lebte. Mit Sohn Adonay, einer weiteren Frau und deren Kind teilte sie sich ein winziges Zimmer mit zwölf Quadratmetern, immer in der Hoffnung, ihren Mann wiederzusehen. Doch bis dahin sollte es noch lange dauern.
Im Januar 2015 wurde Gidey in Deutschland als Flüchtling anerkannt. Der Anerkennungsbescheid gab Auskunft darüber, dass ihm nun der Familiennachzug gestattet war. Was sich einfach anhörte, erwies sich allerdings als harte Herausforderung. Den ersten Punkt, eine Wohnung zu finden, die groß genug für drei Personen ist, schaffte Gidey dank der Mithilfe von Helmut Wenk. Hans-Jürgen Weese von der gleichnamigen Winsener Gärtnerei hatte ein Herz für den jungen Mann und vermietete ihm eine Wohnung. Als nächster Punkt stand der Vaterschaftstest auf dem Plan. Mit finanzieller Hilfe des Kirchenkreises und Wenks konnte Gidey belegen, dass Adonay tatsächlich sein Sohn ist. Eine ganze Reihe weiterer Hürden wurden genommen und im Oktober 2015 war es dann endlich soweit: Die Visa für Mebrahit und Adonay waren erteilt.
Um allerdings von Addis Abeba nach Hamburg reisen zu dürfen brauchte die 25-jährige Mebrahit nicht nur das Visum, sondern Reisedokumente des UNHCR und die Genehmigung der äthiopischen Behörden. Wieder und wieder versuchte sie, im UNHCR-Büro in Addis Abeba vorzusprechen und scheiterte immer wieder an einer Pförtnerin, die die bildhübsche junge Frau rüde abwies. Mebrahit war verzweifelt und Gidey, mit dem sie per Internet in Kontakt stand, fasste sich ein Herz. Er fuhr nach Berlin, um mit dem dortigen Büro der UNHCR zu sprechen. Er kannte weder die Stadt noch den Weg. „Aber ich habe dort nur freundliche Menschen getroffen, die mir geholfen haben“, erinnert sich Gidey an seinen Ausflug. Er schaffte es, mit Sebastian Anstett, einem Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerkes zu sprechen. Der konnte ihm zwar keine großen Hoffnungen machen, aber im September war es dann endlich so weit: Mebrahit bekam die Reisedokumente für sich und Adonay. Inzwischen ist zwar das Visum, das fast ein Jahr zuvor ausgestellt wurde, abgelaufen, aber es wurde neu ausgestellt. Nun waren nur noch zwei Hürden zu nehmen: Gidey musste 900 Euro für den Flug von Frau und Tochter zahlen und die staatlichen Stellen in Äthiopien mussten ihr OK geben. Sechs Wochen später kam dann endlich die erlösende Nachricht: Es kann losgehen.
Als Mebrahit und Adonay in Hamburg landeten, ging für Gidey ein Traum in Erfüllung. Fast fünf Jahre nach der Flucht konnte er seine Frau wieder und seinen Sohn zum ersten Mal in den Arm nehmen. „Das ich so eine Geschichte erlebe, hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich im Oktober 2013 einfach eine Korb mit Essen gepackt habe, um die neu eingetroffenen Flüchtlinge in der Nachbarschaft zu begrüßen“, kann auch Helmut Wenk, der sich jahrelang um die jungen Männer aus Eritrea und Westafrika kümmerte und ihnen noch heute mit Rat und Tat zur Seite steht, die Rührung nicht ganz verbergen.
Für Gidey, Mebrahit und Adonay begann ein neues Leben. Gidey absolviert seinen Integrationskurs, Mebrahit lernt Deutsch und Adonay hat dank der Initiative von Vermieter Hans-Jürgen Weese einen Kindergartenplatz in der Nachbarschaft gefunden. Jetzt steht das erste gemeinsame Weihnachtsfest für die kleine Familie vor der Tür. Das allerdings feiern die orthodoxen Christen erst am 7. Januar.
hammer.
AntwortenLöschendanke dass du das aufgeschrieben hast, liebe fran!
wenn man diese geschichten liest weis man wieder in welchen wolkenkuckucksheim man hier in mitteleuropa lebt. und was für´n luxusproblem der in letzter zeit vielzitierte "weihnachtsstress" z.b. ist........
xxxxx
Weihnachtsstress kriegt da tatsächlich eine etwas absurde Tendenz. Andererseits: Wir kennen es nicht anders. Weil wir es ganz oft auch gar nicht wissen wollen.
LöschenHallo Fran, danke das du das mit uns geteilt hast. Es macht einem sehr nachdenklich und da hat Beate recht, wir leben hier in einem Wolkenkuckucksheim. Viele liebe Grüsse Beate S.
AntwortenLöschen"Blick über den Tellerrand" sollte vielleicht Pflichtprogramm in der Schule sein. Statt Religion oder so.
LöschenUns geht es so gut. Ich freue mich dass es ein Happy End hat für die Familie. Wir betreuen in der Praxis seit Jahren Flüchtlinge und da sind Schiksale, die wir uns kaum vorstellen können.
AntwortenLöschenLiebe Grüße Tina
Ohne ganz viel Unterstützung hätte es dieses Happy end wohl nicht gegeben. Allein die finanziellen Belastungen kann ein Flüchtling im Normalfall gar nicht stemmen.
LöschenVielen Dank für diesen Post :)! Darum sollte es gehen, diese Tage.
AntwortenLöschenWeihnachtliche Grüße von mit, der Méa
Sehe ich genauso. Und nicht nur in diesen Tagen.
LöschenHier geht es um Grundbedürfnisse wie Freiheit und Sicherheit für sich und seine Angehörigen. Darum, dass man als Familie zusammen sein darf. In Wikipedia kann man sich über Eritrea, insbesondere auch über die Menschenrechtsprobleme und die wirtschaftliche Lage, einen kleinen Überblick verschaffen. Ich glaube, dass viele Deutsche in vergleichbarer Lage genauso wie diese kleine Familie handeln würden.
AntwortenLöschenVor einigen Jahren habe ich mal die Aubobiographie einer jungen Frau gelesen, die als Kind mit Ihrer Familie aus politischen Gründen Eritrea verlassen musste. In dem Buch hatte sie auch beschrieben, wie schwer ihr das Leben lange Zeit in Deutschland, einer so vollkommen anderen Welt, fiel und wie sehr sie die Heimat ihrer Kindheit und die zurückgeblieben ihr nahestehenden Menschen noch immer vermisst. Der Schritt in die ungewisse Fremde ist nur selten leicht und fällt wohl den meisten schwer.
Liebe Grüße und es ist schön zu sehen, dass solche Geschichten trotz unserer Schubladenpopulisten die meisten Menschen hier noch immer berühren können...
Hasi
Ich habe mich vor drei Jahren, als ich Gidey kennenlernte, zum ersten Mal mit Eritrea beschäftigt. Bis dahin war es ein Land, irgendwo in Afrika. Das Leben für die Familie ist weiterhin nicht einfach. Sie haben ihre ganze Welt hinter sich gelassen. Aber sie werden das schaffen. Da bin ich sicher :-)
LöschenEin schönes Happy End :)
AntwortenLöschenFrohe Weihnachten Fran!
Jep, wir haben alle irgendwann selbst nicht mehr dran geglaubt. Und dann ist es doch passiert :-)
LöschenDas geht zu Herzen liebe Fran ♥
AntwortenLöschenLiebe Grüße Sabine
Mir auch. Als die Nachricht kam, dass Mebrahit endlich ausreisen kann, waren wir alle so unglaublich froh.
LöschenWas für eine tolle Weihnachtsgeschichte. Das würde ja glatt Stoff für ein echtes "Weihnachtsmärchen" abgeben, das dann nächstes Jahr im TV laufen könnte. Kannst Dich ja mal bei ARD mit Deinem Drehbuch drum bewerben.
AntwortenLöschenLG Sunny
Hihi, Drehbücher kann ich nicht. Aber das würde in der Tat einen schrecklich schnulzigen Film geben. Das Leben schreibt halt doch die besten Geschichten.
LöschenEine tolle Geschichte liebe Fran. Schön das du sie hier für uns aufgeschrieben hast. Dagegen was viele Menschen an Hunger, Armut, Unterdrückung und Gewalt sowie den täglichen Kampf ums Überleben aushalten müssen, ist unser Weihnachtsstress, wie Beate schon angemerkt hat, ein Luxusproblem. Die meisten von uns haben ein Dach über dem Kopf, genügend zu essen, einen Schrank voller Klamotten und das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne dafür Angst um das eigene sowie das Leben der Familie haben zu müssen. Vielleicht ist ja gerade die Weihnachtszeit bzw. die Zeit zwischen den Jahren gut dazu, sich dies mal wieder bewusst zu machen und dankbar zu sein für all den Luxus in dem wir im Vergleich zu vielen anderen auf dieser Welt, leben dürfen. Liebe Grüße Ursula
AntwortenLöschenWir kennen halt nix anders. Deshalb bleibt die Dankbarkeit dann auf der Strecke. Wobei: Wir können durchaus alle argwöhnisch beäugen, die uns den Luxus schmälern ;-)
LöschenDa schließe ich mich den Vorkommentatorinnen an: Danke für diesen Post und dafür, dass du die Geschichte mit uns teilst.
AntwortenLöschenManchmal vergessen wir einfach, wie gut es uns geht... ich auch...
Lieben Gruß
Sabine
Geht mir nicht anders. Ich vergesse das auch oft, obwohl ich Gidey seit gut drei Jahren begleite. Aber ein Gespräch mit ihm und seinen Freunden erinnert mich immer wieder daran.
LöschenDas Leben schreibt tatsächlich (manchmal) die besten Geschichten und ich schließe mich der Bahnwärterin an: wenn ich von hausgemachten Weihnachtsstress, Völlerei über die Feiertage (uuuh... aber hinterher unbedingt Diät und Detox!) und ähnlichem lese, dann frage ich mich, in welchem Wolkenkuckucksheim wir hier leben und um was für goldene Kälber wir tanzen.
AntwortenLöschenDanke fürs Teilen!
Solche Geschichten machen Mut und sind ein wichtiges Gegenargument bei rechtslastigem und unüberlegtem Gedankengut, das einem oft begegnet und sprachlos macht.
AntwortenLöschenDanke, dass Du sie hier erzählt hast.