Direkt zum Hauptbereich

Diagnose Burnout: Und was passiert in so einer Therapie?



Kurz vor Weihnachten kam die Nachricht, dass ich ab Ende Januar acht Wochen Therapie in einer Tagesklinik machen darf. Diese Wartezeit ist eher kurz, viele Burnout-Patienten warten ein halbes Jahr oder länger auf einen Therapieplatz und um einen Platz in einer Klinik zu finden, die sich speziell an Burnout-Patienten wendet, muss man lange suchen. Noch länger dauert die Suche nach einer Klinik, in der man als gesetzlich versicherter Patient behandelt wird.


Ich hatte Glück. In Hamburg gibt es eine Tagesklinik für Stressmedizin, die Therapien für Gruppen von zehn Patienten anbietet - und sich nicht an Privatpatienten richtet. Im Rahmen eines ersten Treffens wurde die Therapie vorgestellt und ehrlich gesagt war mir ein bisschen mulmig. In der Therapie wird sehr viel Wert auf Achtsamkeit gelegt. Es wird meditiert, es gibt täglich Bewegungseinheiten mit Yoga und Qi Gong oder achtsamer Körperarbeit. Alles Begriffe, die bis dahin für mich eher ein rotes Tuch waren. Wobei ich gestehen muss: Mein Blick auf Achtsamkeit war bis dahin hauptsächlich geprägt von dem Hype, der vor geraumer Zeit in den sozialen Medien tobte. Da wurde immer eine Duftkerze (natürlich erstanden mit Rabattcode) angezündet und dann war man total achtsam. Äh ja. Das war bei mir tief in der Schublade Eso-Gedöns gelandet.


Und das sollte ich jetzt acht Wochen lang von acht bis 16 Uhr mitmachen und es sollte sogar helfen? In einer festen Gruppe, von der ich nicht wusste, ob ich mit den Teilnehmern überhaupt klarkam? Was, wenn da lauter Eso-Fans zusammenkommen und von morgens bis abends ommen? Mit zwei 90-minütigen Gruppentherapiestunden pro Woche, in denen ich mit neun völlig fremden Menschen meine Probleme wälzen sollte?


Ich habe den Platz natürlich trotzdem mit Kusshand genommen. Irgendwas musste passieren und warum nicht einfach mal was, was komplett außerhalb meiner Komfortzone liegt?


Heute sind drei Wochen rum und bei dem Gedanken, dass ich nur noch fünf Wochen vor mir habe, wird mir wieder mulmig. Denn innerhalb von drei Wochen habe ich gemerkt, wie gut mir all das tut, was ich vorher in die Eso-Schublade gelegt hatte. Allerdings hat das, was in der Tagesklinik praktiziert wird, herzlich wenig mit Duftkerzen und allem zu tun, was man auf Instagram so in Sachen Achtsamkeit zu sehen bekommt.


Jeder Therapietag beginnt mit einer halbstündigen Meditation. Ohne Kerze und den Aufstieg ohne höhere Sphären. Einfach nur, um zu lernen, miese Gefühle, blöde Gedanken, Stress und Angst loszulassen und im Augenblick anzukommen. Eine halbe Stunde an einem Platz zu sitzen und einfach nur bewusst zu atmen ist übrigens gar nicht so einfach.


Im Anschluss gibt es Gesprächstherapie in der Gruppe oder Einzelgespräche mit Psychotherapeuten beziehungsweise Psychiatern oder eine Gruppenstunde Achtsamkeit. Da werden längst nicht nur Probleme gewälzt, sondern es wird ganz viel gelacht. Zehn Depris, die sich vor Lachen kringeln - auch kein alltäglicher Anblick ;-) Aber ihr glaubt nicht, wie befreiend es ist, zu wissen, dass andere Menschen haargenau die gleichen Probleme haben wie man selbst. Es hilft ungemein zu erfahren, dass man nicht der einzige Idiot auf der Welt ist, der sich den Stress auch noch gern selbst macht.


Angesichts die Sache mit der Achtsamkeit werde ich künftige wohl auch nicht mehr die rechte Augenbraue hochziehen und die Nase rümpfen. Die hat nämlich herzlich wenig damit zu tun, sich etwas „zu gönnen“ - samt Rabattcode. Sondern vielmehr damit, sich seiner Gedanken und Handlungen bewusst zu sein und nicht per Autopilot durch sein Leben zu rasen. Dazu gibt es irgendwann mal mehr an dieser Stelle.


Dazu kommen täglich ein bis zwei Bewegungsangebote: Yoga, Qi Gong, Körperarbeit und walken. Yoga hat Gottseidank nix damit zu tun, wer sein Bein am schönsten hinters Ohr klemmen kann… Beim Walken muss man nicht schnell sein und beim Qi Gong darf man auch mal vergessen, wie die Übung weitergeht. „Sie müssen hier gar nichts“, ist der Leitspruch der Bewegungstherapeuten. Und wer wie ich Probleme hat, auf dem rechten Fuß sein Gleichgewicht zu halten (wer lange hier liest, erinnert sich an das kaputte Sprunggelenk), der nimmt halt beide Beine. Jeder macht das, was ihm guttut und hört auf, wenn es ihm nicht mehr guttut. Es geht niemals um Leistung, sondern um Bewusstsein. Finde ich großartig.


Das theoretische Fundament gibt es dann am Nachmittag in Form von Vorträgen über Stressmedizin, Psychoedukation, Anthropologie, Ernährung und Arbeitsmedizin. Immerhin kann ich mich jetzt wie ein Pro mit dem Psychologenkind über Hirnaktivitäten unterhalten ;-)


Insgesamt acht Wochen lang werden wir jetzt gemeinsam trainieren, nicht in gewohnte Verhaltensmuster zu fallen, sondern alles, was wir tun, zu hinterfragen und uns bewusst zu werden, was eigentlich den übermäßigen Stress ausgelöst hat. Wir lernen alternative Lösungsmöglichkeiten, wo es früher für uns alle nur „schneller, höher, weiter“ gab.


Und ja, es wirkt. Ich habe in der vergangenen Woche festgestellt, dass ich inzwischen seelenruhig an einer Supermarktkasse warten kann, ohne auszurasten, wenn der Kunde vor mir 1. Seine Geheimnummer für die Maestro-Karte vergessen hat, 2. Noch mal schnell eine Gurke holen muss und 3. Dem Kassierer das Portemonnaie überreicht und sagt „Nehmen Sie das mal raus, ich kann das nicht mehr so gut sehen“. Ich kann sogar im Stau stehen, ohne wütend zu werden und heute früh habe ich mich völlig gelassen auf dem Weg zur Klinik verfahren, weil drölfzig Straßen wegen Sturmschäden gesperrt waren. Alles Gelegenheiten, die mich bis vor wenigen Wochen hochgradig gestresst hätten.


Ok, an Arbeit mag ich noch nicht denken. Bis die Mechanismen zur Stressvermeidung so sitzen, dass ich sie auch im Büro anwenden kann, wird es noch dauern. Aber ganz langsam wird es besser. Immerhin kann ich mir, wenn ich einkaufen gehe, schon vier bis fünf Dinge ohne Einkaufszettel merken ;-) Darüber, dass das Kind seine Valentinstagsblumen erst am Dienstag bekommen hat, breiten wir mal den Mantel des Schweigens…


So, jetzt wisst ihr, was ich so den lieben langen Tag mache. Noch Fragen? Dann her damit!


Liebe Grüße

Fran


P.S. Die Menschen in meiner Therapiegruppe sind übrigens weder Eso-Freaks noch sonstwie merkwürdig. Wir sind - eigentlich logisch - alle ähnlich gestrickt und verstehen uns hervorragend. Sämtliche Befürchtungen waren völlig umsonst. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich schon jetzt für weitere acht Wochen einchecken.





Kommentare

  1. Hallooo Fran, na klar sind das keine Eso Freaks. 😂 Atmet ihr eigentlich mit FFP2 ? ich glaube das würde mich zum Ausrasten bringen. Ich trage den ganzen Tag bei der Arbeit und hasse es und denke das auch die ganze Zeit, leider.
    An der Kasse stehen macht mir überhaupt nichts aus. Freut mich voll dass Du das jetzt auch kannst. Das ist doch auch interessant, alle zu beobachten.
    Aber ich weiss genau was Du meinst. Beim Autofahren zu stressen finde ich auch schlimm. Lieber fahre ich zeitiger los. oder melde ich komme etwas verspätet. Geht die Welt nicht unter von. Ich glaube wir haben manchmal die falschen Wertvorstellungen verinnerlicht, dieses höher, schneller, weiter versuche ich mir auch mühsam abzugewöhnen. Okay, ich werd langsam zu faul dazu, glaube ich. 😂 Du bist ja nicht faul.
    Es ist so schön zu lesen dass Dir das gut tut und dass das genau so wie es ist richtig ist. Psst aber ich glaube Sarah schenkt mir immer diese Duftkerzen mit Rabattcode, sie schimpft nämlich immer über deren Preispolitik. Havanna riecht suuuper. 😊
    Und ich finde es sollte Valendienstag heissen. 😂 Ups ich muss los zur Arbeit. Schönen Freitag Fran ❤️
    Liebe Grüße Tina

    AntwortenLöschen
  2. Klingt super! Ich ahnte und hoffte, dass es Dir gefallen würde. Ja, das sind halt so ganz andere "Gedankenbereiche" für unsereinen. Für viele andere Menschen nicht, die sind schon immer irgendwie auf der Schiene unterwegs gewesen - es ist also eigentlich ganz normal und streng genommen auch kein Hype. Nur Menschen wie Dir und auch mir eben bislang eher fremd. Du beschäftigst Dich jetzt "so richtig" damit, ich nur minimal am Rande und deshalb bin ich auch weiterhin Lichtjahre vom Thema Gelassenheit entfernt.

    Deine Gedanken und Empfindungen dazu kann ich allerdings 1A nachvollziehen und freue mich sehr für Dich! Weiter so!

    Liebe Grüße
    Gunda

    AntwortenLöschen
  3. Nein, keine Fragen, liebe Fran. Jeder verarbeitet diese Phase auf eine andere Weise, individuell, die von niemandem kopiert werden kann und auch kein Tipp zum Nachmachen sein kann. Ich möchte nur sagen, dass ich mich sehr freue, dass dir diese Zeit sehr gut tut, und ich hoffe, dass es so bleibt!
    Beste Grüße, alles Liebe,
    Claudia

    AntwortenLöschen
  4. Erst Freude: Freude darüber, dass du dich so ein- und ausläst und eine besondere Form von Ruhe wieder findest, während du die Achtsamkeit findest. Das gefällt mir und so, wie du schreibst, wünsche ich dir statt des Rabattcodes einen Bonuscode.

    Zum Yoga: Mit dem ist es manchmal wie mit der Achtsamkeit. Ich praktiziere (viiiel zu großes Wort für das, was ich da tue..) schon seit 20 Jahren Yoga. Mal mehr, mal weniger, mal gar nicht. Und ich hatte in diesen 20 Jahren zwei wirklich großartige Yogis (beide ausgewandert, aber nicht meinetwegen, ich schwör), die mit allen dort von 20-80 Yoga gemacht haben. Die konnten ihr Bein hinters Ohr klemmen und ganz komische Figuren bauen. Hätten das aber nie nicht von uns verlangt. Da ging es um Dehnung, mögliche Beweglichkeit und atmen. Und so mache ich es bis heute. Und dann, dann ist es auch eine Form von Achtsamkeit in vielerlei Hinsicht.

    Meditieren ist Königsdisziplin und nicht mal eben. Und das stelle ich mir bei einem sehr aufgewühlten Geist noch viel viel schwieriger. Ich, sehr gechillt meistens, kann es nicht bis selten.
    Das geht bei mir nur am Ende einer Yogastunde.
    Danke fürs Bewusstmachen, das Achtsamkeit so viel mehr ist und so viel früher anfängt.

    Ich wünsche dir weiterhin diesen guten Weg, man liest in und zwischen den Zeilen, wie gut es dir tut und hilft.

    Alles Liebe
    Nicole

    AntwortenLöschen
  5. Hallo Fran,
    Nein, du bist nicht allein mit deiner "Macke". Sorry, du weißt wie ich das meine. So sage ich bei mir immer. Es gibt Menschen, die haben eben auch meine Macke. Ich dachte immer, ich sei eine vom Mond, über die andere den Kopf schütteln.
    Schön, dass dir die Tagesklinik so gut tut und weiterhin viel Erfolg und alles Gute.
    Liebe Grüße
    Gudrun

    AntwortenLöschen
  6. Hallo Fran,
    Deinen Humor hast Du nicht verloren und das ist gut so. Chapeau, dass wir Dich auf diesem Weg begleiten dürfen. Das in solchen Therapien, wie die Deinige, keine Freaks unterwegs sind, sondern ganz normale Menschen wie du und ich, kann ich mir gut vorstellen. Ich wünsche Dir weiterhin einen guten Therapieverlauf. Viele Grüße, Grit.

    AntwortenLöschen
  7. Ich finde es sehr interessant, was Du so berichtest. Vielleicht wäre Achtsamkeit etwas, was man in der Schule zeigen sollte, neben dem Spaß an Bewegung und richtigem Essen. Denn die Vorbildfunktion der Eltern ist oft nicht die beste, da diese meist selbst in ihren Mustern gefangen sind.
    Ich wünsche Dir weiterhin gute Erholung und Erfolg dabei, die neuen Blickwinkel zu verinnerlichen.
    BG Sunny

    AntwortenLöschen
  8. :-) Liebe Fran,
    danke, dass Du du Dein Burnout und die Gefühle drum herum hier so ausführlich schilderst und uns Einblick in Dein Leben gewährst.
    Weiterhin alles Gute für Dich!
    Liebe Grüße
    Claudia :-)

    AntwortenLöschen
  9. Mich freut es, dass Dein Weg Dich mit so interessanten Menschen zusammengebracht hat und Du auch vieles neu fühlen und denken lernst. Das ist eine sehr große Sache.
    Danke, dass wir ein wenig dabei sein dürfen und so auch mitfühlen und -lernen können.
    Alles Gute weiterhin wünscht Dir
    Sieglinde

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Dieser Blog ist mit Blogspot, einem Googleprodukt, erstellt und wird von Google gehostet. Es gelten die Datenschutzerklärung & Nutzungsbedingungen für Googleprodukte.

Wenn Du die Kommentare zu diesem Beitrag durch Setzen des Häkchens abonnierst, informiert Dich Google jeweils durch eine Mail an die in Deinem Googleprofil hinterlegte Mail-Adresse.
Durch Entfernen des Hakens löscht Du Dein Abbonement und es wird Dir eine entsprechende Vollzugsnachricht angezeigt. Du hast aber auch die Möglichkeit Dich in der Mail, die Dich über einen neuen Kommentar informiert, über einen deutlichen Link wieder abzumelden.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Weimar in grün mit 40 Jahren Verspätung

Von Optimismus und warum er manchen Menschen schwer fällt

Kleiderstange: Jeans. Und der tagesaktuelle Wetterbericht ;-)