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Statt Kofferpacken

 


Tja, eigentlich sollte ich jetzt im Flugzeug sitzen auf dem Weg nach Fuerteventura, mit einem Grinsen von links bis rechts auf dem Gesicht. Und am Sonntag wollte ich eigentlich zusammen mit Ines und Nicole einen Blogpost über das Thema Kofferpacken veröffentlichen.


Und jetzt ist alles anders. Ich bin nicht auf dem Weg nach Fuerteventura, sondern vermutlich gerade auf dem Weg in eine Klinik. Keine Angst, mir geht es gut. So gut wie es einem eben gehen kann, nachdem am vergangenen Wochenende das passiert ist, was eben passiert.


Stellt euch vor, ihr geht mit eurem Liebsten an einem sonnigen Morgen spazieren, eine Runde durch den Park, um frische Luft zu schnappen. Ihr redet miteinander wie immer, ihr macht Blödsinn und plötzlich fängt euer Liebster an zu torkeln. Ihr glaubt, dass er euch vereimern will. Aber er fällt um. Und in dem Moment, in dem ihr ihm ins Gesicht seht, holt ihr ohne Nachzudenken euer Handy raus uns wählt 112.


Wer schon immer wissen wollte, ob er eines der Zeichen eines Schlaganfalls, nämlich eine hängende Gesichtshälfte, erkennen würde, wenn er sie sieht: Ja. Das erkannt man sofort. Ich weiß das jetzt. Ein freundlicher Mann hilft euch, euren Liebsten irgendwie hinzusetzen. Vorbeijoggende Nachbarn rasen sofort zu verschiedenen Parkeingängen, um die Rettungskräfte einzuweisen. Der Rettungswagen kommt nach zehn endlosen Minuten. Ihr dürft nicht mit einsteigen. Der Wagen rast mit Blaulicht los. Gerade mal den Namen des Patienten könnt ihr den Notfallsanitätern hinterherrufen, sie rufen, in welches Krankenhaus sie ihn bringen. Und dann ist alles still.


Eure Nachbarn bringen euch nach Hause. Ihr steht unter Schock. Könnt nicht begreifen, was da passiert ist. Realisiert überhaupt nichts. Ruft eure Kinder an, die sich sofort auf den Weg machen. Und dann fangt ihr an, die Küche aufzuräumen und stellt eine Waschmaschine an. Völlig ohne jeden Sinn, ohne Zweck. Nur damit eure Hände etwas zu tun haben und euer Gehirn nicht arbeiten muss.


Nach einer unglaublichen Odysee am Telefon erfahrt ihr neun Stunden später endlich etwas. Der Mensch, der euch neben euren Kindern am liebsten auf der Welt ist, wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt, vier Stunden lang operiert und ist einigermaßen stabil. Ins Krankenhaus dürft ihr nicht. Ihr realisiert immer noch nicht, was eigentlich passiert ist. Ihr geht irgendwann ins Bett. Weil man das so macht. Um halb eins in der Nacht klingelt das Handy. Die Nummer des Krankenhauses leuchtet auf.


Ihr beginnt am ganzen Körper zu zittern. Ihr wollt nicht rangehen. Warum ruft ein Krankenhaus mitten in der Nacht an? Ihr habt nicht nur Angst, ihr seid Angst. Pure Angst. Ihr geht doch ran. Die Ärztin am anderen Ende teilt euch mit, dass euer Liebster einen zweiten Schlaganfall erlitten hat und jetzt sofort ein zweites Mal operiert wird. Dann Stille.


Ihr sitzt im Bett und wisst nichts. Ihr könnt nicht denken. Ihr könnt nichts fühlen. Ihr könnt nichts. Auch nicht schlafen. Und dann fangt ihr, die ihr mit Religion und Glauben nie etwas am Hut hattet, an zu beten. Und irgendwie ist nach einjährigem Üben etwas geblieben: Ihr schafft es, euch nur auf euren eigenen Atem zu konzentrieren und alles andere loszulassen. So vergeht die Nacht, eine der längsten eures Lebens.


Um sechs Uhr morgens haltet ihr es nicht mehr aus. Ihr ruft im Krankenhaus an. Man teilt euch mit, dass „der Patient“ auch die zweite OP überlebt hat, jetzt im künstlichen Koma liegt. Endlich kommen die ersten Tränen. In Sturzbächen. Endlich könnt ihr weinen. Und gleichzeitig stürmen Tausende von Gedenken auf euch ein. Was wird nun?


Die Ärztin sagt, dass man im Laufe des Tages versuchen werde, ihn zu wecken. Dann käme es erst einmal darauf an, dass er selbständig atmet. Ansonsten könne man noch überhaupt nichts sagen. Aber eigentlich wollt ihr auch nichts wissen. Ihr wollt nur, dass er überlebt. Euch fällt die Patientenverfügung ein, die im Ordner heftet. Beatmungsgeräte sind abzuschalten. Ihr überlegt, ob ihr die Verfügung kurzerhand verbrennt. Niemals würdet ihr eine solche Anweisung geben. Niemals! Oder doch? Ihr wisst - nichts. Müsst abwarten. Und eigentlich begreift ihr noch immer nicht, was da eigentlich gerade passiert ist.


Endlich dürft ihr in die Klinik. Als ihr ihn im Bett liegen seht, schmal, intubiert, blass, möchtet ihr ihn in den Arm nehmen, küssen, streicheln, lieb haben. Aber das dürft ihr nicht. Das geht auch gar nicht, bei einem Dutzend Kabeln, die im Bett verstreut sind. Aber ihr könnt seine Hand halten. Und mit ihm reden. Und dann, ganz plötzlich, drückt er eure Hand. Erst zart, dann etwas fester. In diesem Moment möchtet ihr die Welt umarmen. Und weinen. Immer nur weinen.


So geht es mir seit dem Wochenende. Ich bin täglich in der Klinik. Jeden noch so kleinen Fortschritt feiere ich. Und die Fortschritte sind klein. Sehr klein. Aber sie sind da. Daran klammere ich mich gerade. Und diese Fortschritte zu sehen, das ist schöner als auf Fuerteventura am Strand zu liegen.


Vor fünf Tagen war meine Welt noch in Ordnung. Und innerhalb von wenigen Sekunden ist sie kaputtgegangen. Zersprungen wie Glas. Aber ich werde das Glas auswechseln und neues Glas einsetzen.


Den ersten Schritt dazu hat mein Liebster gemacht, indem er wieder allein atmet. Einen weiteren Schritt habe ich gemacht, als ich am Mittwoch wie in Trance zur Prüfung erschienen bin. Ich hatte es mir offen gelassen, ob ich gehe. Und weil am Mittwochmorgen die Sonne schien, bin ich gegangen. Und habe bestanden. Es scheint vorteilhaft zu sein, wenn man nicht nervös ist, weil die Prüfung einem total egal ist. Immerhin bin ich jetzt halbe Heilpraktikerin für Psychotherapie. Eine mündliche Prüfung kommt noch. Aber das hat Zeit.


Liebe Grüße

Fran



Kommentare

  1. Was für ein Albtraum! Ich stelle es mir absolut schrecklich vor einen lieben Menschen in so einer Situation zu erleben...
    Ich wünsche euch weiterhin eine gute Genesung und dass ihr das zusammen durchsteht und noch stärker aus dieser schlimmen Sachen herausgeht!
    Und auch wenn es für dich gerade sicher Nebensache ist: Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Prüfung!

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    1. Danke :-) Und ja, so etwas ist schrecklich. Aber wir stehen das durch!

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  2. Oh Gott, Fran, das ist ein totaler Alptraum! Ich drück dir alle Daumen, dass es noch viele weitere, große und kleine, Fortschritte geben wird. Dass dein Liebster genesen wird. Was für ein Glück, dass du da warst und sofort reagieren konntest. Gerade beim Schlaganfall zählt ja Zeit - und daher ist es Glück im Unglück, dass Ihr zu zweit unterwegs wart.
    Alles Gute für Euch beide, bitte berichte...!
    Liebe Grüße, Maren

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    1. Ich bin froh, dass ich daneben stand. Auch wenn die Erfahrung schrecklich war, konnte ich doch immerhin etwas tun. Auch wenn es nicht viel war.

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  3. WTF ... - oh mann, das tut mir echt leid!! Immerhin warst Du dabei und konntest umgehend reagieren - sonst wäre es ganz sicher noch viel böser ausgegangen!

    Ich bewundere wieder einmal, wie anschaulich Du solche Geschehnisse zu schildern vermagst - das kannst Du wirklich wie keine andere. Ich wünsche Dir bzw. Euch alles erdenklich Gute und dass das neue Glas wunderschön und wahnsinnig haltbar sein möge!! ♥

    Lieben Gruß
    Gunda

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    1. Ach Gunda, das ist soooo schön, von dir zu lesen! Und ja, es wird wieder. Es muss ganz einfach.

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  4. Oh Gott Fran! Zum Glück warst Du da und schnell. Alles wird gut werden, alles wird gut werden, alles…. ganz bestimmt. Ich denke an Dich wünsche Deinem Liebsten gute Besserung und drücke ganz doll die Daumen.💕
    Liebe Grüße Tina

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    1. Danke, Tina! Alles wird gut. Ganz langsam und in kleine Schritten.

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  5. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    1. Es heißt natürlich Nicole.
      Autokorrektur kann nicht alles 😅

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  6. Liebe Fran,
    Ich schreibe nochmal neu:
    Zunächst einmal möchte ich dir viel Kraft für die kommende Zeit wünschen. Bei allem, was ganz schrecklich und furchtbar ist, ist es gut, dass du so geistesgegenwärtig gehandelt hast und so schnell Hilfe vor Ort war.
    Ich wünsche gute Genesung und Fürsorge. Auch für dich.
    Und auch wenn es nebensächlich erscheint:
    Ich wusste, du würdest die Prüfung schaffen, unter diesen Umständen: Hut ab. Und Glückwunsch.
    Alles Liebe
    Nicole

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    1. Naja, ich bin vom Kinde ja darauf getrimmt. Da konnte ich gar nicht anders reagieren. Wobei ich mich heute frage, warum ich den Typen von der Leitstelle nicht durchs Telefon gezogen habe. Das war echt ne Geschichte für sich... erzähl ich demnächst mal.
      Die Prüfung - mein Vorteil war wohl, dass ich so gar nicht nervös war. Was ein paar Tage vorher noch wahnsinnig wichtig für mich war, hatte plötzlich keine Bedeutung mehr. Kann wohl auch ein Vorteil sein :-)

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  7. Liebe Fran,

    alles Gute für dich und deinen Freund.

    Zum Glück im Unglück warst du bei ihm und ihr konntet so schnell wie möglich alles in die Wege leiten. Das, was möglich war, habt ihr getan. Zeit ist ein riesengroßer Faktor.


    Das andere muss er allein selbst schaffen. Viel Kraft und gute Gedanken für euch,

    Claudia

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    1. Stimmt. Zeit ist ein riesengroßer Faktor. Und jetzt ist es Geduld. Wo ich doch bekannt für meine unglaubliche Geduld bin... nicht. Aber ich lerne dazu :-)

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  8. Das ist schlimm liebe Fran. Du hast zum Glück sofort reagiert und alles in die Wege geleitet. Jetzt kann man nur abwarten und hoffen. Alles Gute ❤️ Es freut mich, dass Du trotz alledem Die Prüfung bestanden hast.

    Liebe Grüße Sabine

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    1. Das mit der Prüfung war eigentlich völlig irrwitzig. Aber sei es drum. Wichtiger ist jetzt eh, dass alles wieder gut wird. Mit viel Geduld und Spucke.

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  9. Ich wünsche euch alles, alles gute, seid tapfer und gebt nicht auf
    Ich zünde eine Kerze für euch an

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  10. Alles Gute! Fühl dich ganz fest gedrückt.
    Belinda

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  11. Eine längere Zeit habe ich hier auf Deinem Blog nicht vorbeigeschaut und nun diese ganz traurigen Neuigkeiten. Ich wünsche Dir, liebe Fran, für die kommende Zeit, viel Kraft und Zuversicht. Herzlichst, Grit.

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    1. Ja, traurig ist es schon. Aber inzwischen auch voller Hoffnung und Zuversicht. Das macht das Leben gleich wieder schön. Anders, aber schön.

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  12. Das hört sich schlimm an, aber er lebt! Und bitte bete weiter und glaube daran, dass es einen Gott gibt, der Wunder tun kann und der Gebete erhört und der in den tiefsten Tälern des Lebens bei einem ist. Ich habe ihn erlebt, als mein Mann verstorben ist vor vielen Jahren, da war ich nichtmal 30. Aber Gott war da und wenn Menschen die nichts von ihm wissen wollen, plötzlich anfangen zu beten ...... zeigt das nicht dass wir tief in uns drinnen wissen, dass es da jemanden geben muss, zu dem wir rufen wenn wir nicht mehr weiter wissen. Warum sonst fangen Menschen an zu beten?

    Gott sagt in der Bibel.....Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch Ruhe geben! Matthäus 11,28

    Gott segne Dich und Deinen Partner!

    LG Martina

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    1. Oh man, das tut mir unendlich leid für dich. Und es ist schön, dass du Trost gefunden hast. Ich wünsch dir alles, alles Liebe!

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  13. Oh mein Gott, das ist schlimm;(

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    1. Ja, das war es. Inzwischen habe ich ganz viel Hoffnung. Und weiß, dass ich ganz schön stark bin. Das ist ein schönes Gefühl, bei allem Schlimmen, was passiert ist.

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  14. Auch von mir von ganzem Herzen, gute Besserung, ich habe mich gerade von hinten durchgelesen.... was für ein Horror.
    Ganz liebe Grüße Jacky

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    1. Horror trifft es ziemlich gut. Aber wir kriegen den Film noch gedreht. Ich hasse nämlich Horrorfilme!

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  15. :-) Liebe Fran,
    was für ein Horror! Ein ganz klein wenig kann ich nachvollziehen, wie es Dir in den ersten Stunden und Tagen ergangen ist. Da bekomme ich gleich wieder Gänsehaut und mit steht das Wasser in den Augen. - Ich habe schon ein wenig weiter gelesen und bin froh, dass es Deinem Liebsten inzwischen besser geht.
    Ich hoffe sehr, dass es auch Dir gut geht?!
    Ich drücke Dich aus der Ferne!
    Alles Liebe,
    Claudia :-)

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