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Frauen haben keine Burnout. Oder etwa doch?


90 Prozent der Frauen zwischen 40 und 60, die im Burnout landen, haben einfach nur „Wechseljahre“, haben das aber nicht erkannt und daher nix dagegen getan. Habe ich kürzlich gehört. Und auch als ich hier von meinem Burnout geschrieben habe, gab mir eine Leserin den gut gemeinten Rat, es mal anders zu sehen, weil das ganz sicher kein Burnout ist, sondern die Wechseljahre.


Knapp daneben. Ich gehöre zu dem Drittel der Frauen, die keine Wechseljahres-Symptome haben bzw. hatten. Kann ich vermutlich so sagen, denn die Menopause ist bei mir fast zehn Jahre her. Die Phase, in der ich Symptome haben müssen, wenn ich denn welche hätte haben sollen, war zu meiner Burnout-Zeit wohl lange vorbei. 


Und ja, es gibt sicherlich Frauen, deren Beschwerden aufgrund der Wechseljahre falsch als Burnout gedeutet werden. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Dass es 90 Prozent sind, halte ich für Blödsinn. Das würde nämlich all den Fachärzten, auf die man so trifft, bevor man überhaupt einen Platz in einer Burnout-Klinik bekommt, jegliche Kompetenz absprechen.


Ich war selbst in einer Burnout-Klinik. Etwa 50 Prozent meiner Mit-Patient:innen waren weiblich. Alter zwischen Mitte 30 und Mitte 50. Laut der oben zitierten Statistik wären fast alle nur dort gelandet, weil sie „Wechseljahre“ hatten. Die Krankenschwester, die über Jahre völlig überlastet war, die einfach nicht mehr konnte und die dann final zusammenbrach, als ihre Ablösung nicht erschien und die Stationsleitung erklärte, dass sie dann halt wieder mal eine Doppelschicht schieben muss. Die Hebamme, die schon auf dem Weg in den Kreißsaal Panikattacken bekam, weil sie wusste, dass 6 Geburten anstanden, aber nur zwei Hebammen Dienst hatten. Die kaufmännische Angestellte in einer Versicherung, die schon lange an einer Depression litt, weil ihr Ex als echtes Arschloch ihr jeden Fitzel Selbstbewusstsein genommen hatte, den sie nach einer Kindheit, in der sie als Mädchen nichts wert war, mühsam aufgebaut hatte. Und die unter einer unsäglichen Chefin litt, sich aber nie traute, sich dagegen zu stellen. Schließlich musste sie ihre drei Kinder im Studium unterstützen. Die Lehrerin, die sich immer wieder mit befristeten Verträgen herumschlug und die dank der falschen Fächer leisten musste, bis der Hammer fiel, um überhaupt einen weiteren Vertrag zu bekommen. Und das waren nur einige Beispiele aus der Klinik, in der ich war. Und wir alle hätten nach zwei Wochen bioidentische Hormone die Klinik leichtfüßig und „geheilt“ verlassen können? Nun ja.


Versöhnt hat mich dann ein Interview mit einer Psychotherapeutin (so eine richtige Therapeutin, die nicht nur Psychologie bis zum Master studiert hat, sondern auch eine mehrjährige Ausbildung als psychologische Psychotherapeutin absolviert hat) und die ganz klar sagte, dass Psychiater und Psychotherapeuten durchaus zwischen einer mittelschweren oder schweren Depression beziehungsweise einem Burnout und depressiven Verstimmungen wegen Wechseljahresbeschwerden unterscheiden können. 


Schräg dagegen fand ich ausserdem eine Äußerung, dass man, wenn man nicht weiß, ob es Wechseljahre oder ein echter Burnout ist, einfach mal zwei Wochen Hormontherapie ausprobieren könne und wenn das nicht hilft, dann ist es wohl eine Depression respektive ein Burnout. Klar, so geht Diagnose vermutlich auch. Und man stelle sich einfach einmal vor, der Vorschlag hätte anders herum gelautet, man könne Frauen mit Wechseljahresbeschwerden ja einfach mal ein paar Wochen mit Antidepressiva behandeln. Wenn das nix bringt, kann man ja Hormone probieren. Ich höre den Aufschrei schon jetzt.


A propos: Warum bei ganz vielen Frauen die Furcht vor Antidepressiva größer ist als die vor einer Hormonbehandlung, verstehe ich nicht wirklich. Antidepressiva wirken auf Neurotransmitter. Die wiederum sind Hormonen durchaus ähnlich. Der Unterschied liegt darin, dass Hormone ihre Wirkung über die Blutbahnen enfalten, Neurotransmitter über das Nervensystem. Und die meisten Antidepressiva wirken ganz einfach dadurch, dass sie die Aufnahme von Serotonin blockieren. Also kein Voodoo. Und Hormone stammen genauso wenig wie Antidepressiva von der bunten Öko-Blumenwiese, sondern auch dem Pharmalabor.


Genauso verwundert hat mich die Empfehlung einer Influencerin, dass man bioidentische Hormone problemlos bis an sein Lebensende nehmen kann und sollte - weil sie ja quasi total natürlich sind. Und weil die ja auch vor Osteoporose und sogar vor Alzheimer schützen sollen - Ok, ich bin kein Mediziner. Aber da hätte ich doch gern Informationen aus Langzeitstudien, bevor ich Dr. Influence das glaube… Studien zu Antidepressiva gibt es übrigens zuhauf.


Aber vermutlich klingt es einfach besser, wenn man beim Mädelsabend erzählt, dass man bioidentische Hormone nimmt als wenn man psychisch angeschlagen ist und Antidepressiva verschrieben bekommt.


Ach ja, und nicht zuletzt frage ich mich, warum Frauen zwischen 40 und 60 ein Burnout überhaupt so vehement abgesprochen werden soll? Wenn 90 Prozent der Frauen in Burnout-Kliniken falsch sind, ist dann der Burnout eine männertypische Erkrankung? Denn wie gesagt, die Verteilung in den meisten Kliniken liegt bei 50:50. Zieht man von den Frauen nun 90 Prozent ab, bleibt als Ergebnis, dass Frauen keinen Burnout haben. Aber vermutlich haben die Männer sich den auch nur eingebildet und eigentlich ist die Prostata schuld. Oder so ;-)


Liebe Grüße

Fran







Kommentare

  1. Da bekommt man schon beim Lesen Schnappatmung und möchte solche Leute einfach nur kräftig schütteln. Vielleicht finden sich dabei ja dann die verbliebenen zwei Gehirnzellen zusammen und die selbsternannten Fachleute verkneifen sich ihre unqualifizierten Kommentare.
    Aber überleg mal, wie einfach man es dem überlasteten Gesundheitssystem machen könnte, wenn man einfach alles, was Frau zwischen 40 und 60 so hat, als Wechseljahresbeschwerden abtut. Da können dann alle pünktlich in den Feierabend und die Pharmaindustrie bekommt auch gleich ihre Pillen an die Frau. Wäre nur schön, wenn es wenigstens die passenden Pillen wären...

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  2. Solche "Ferndiagnosen" sind wirklich gefährlich. Halbwissen von Influencern ebenfalls. Im Zweifelsfall würde ich immer zu einem Facharzt gehen.
    Liebe Grüße
    Sabine

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  3. Es ist wie immer und überall: Männer sind krank, Frauen stellen sich an. Männer haben Probleme, Frauen sind hysterisch. Und so weiter. Und selbst, wenn Wechseljahre und burnout bei manch einer zusammenhängen würden, braucht es eine Behandlung. Und zwar nicht nur mit Hormonen, sondern umfassend.

    Antidepressiva machen dick! Das ist das Erste, was auch mir in den Kopf kommt, wenn ich darüber nachdenke. Ich weiß nicht einmal, ob das stimmt...Vielleicht ist das eines der Vorurteile, die für Viele gegen eine Einnahme von AD sprechen.... ich zumindest würde mir Sorgen darüber machen, weil ich schon genug auf den Rippen habe.
    Ich bin wirklich froh, dass durch Menschen wie dich Licht in die ganze Sache kommt.
    Lieben Gruß
    Gabi

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  4. Dass Frauen in so einem Fall erstmal Hormone nehmen sollen, was tatsächlich sogar von "richtigen Ärztinnen" (die ich persönlich als kompetent ansehe) und nicht nur von Menofluencern vorgeschlagen wird, erkläre ich mir wie folgt: Antidepressiva helfen meines Wissens nach nicht sofort, die Hormone in so einem Fall aber schon. Ich habe das selbst erlebt. Das ist, als ob du vom "ich liege heulend und lethargisch auf der Couch"-Modus wieder in die normale Betriebsfunktion schaltest. Hätte ich nicht geglaubt, das sowas möglich ist, hätte ich das nicht selbst so erlebt. Die Sache hat für mich allerdings einen kleinen Schönheitsfehler, denn es impliziert: Nimm Hormone und dann funktionierst du wieder so wie vorher und alle anderen sind zufrieden. Vielleicht ist es aber gut, nicht mehr wie vorher zu funktionieren? Weil es da - siehe deine Beispiele oben - Umstände gibt, die dringend geändert werden sollten? Klug wäre es dann, die Hormone als Anschubhilfe zu nehmen, um mal ein bisschen im eigenen Leben aufzuräumen oder zumindest zu schauen, wo es noch hakt.

    Was ich auch gelernt habe: Es ist wahrscheinlich, dass die Frau, die sehr unter hormonbedingten psychischen Symptomen leidet, generell eine Neigung dazu hat, also bspw. schon mit PMS zu kämpfen hatte oder mit einem Baby Blues (stimmt in meinem Fall beides). Was wohl u.a. daran liegt, dass die Östrogenrezeptoren bei jeder Frau unterschiedlich verteilt sind und je nachdem, wie viele du hast und wo sie sich halt befinden, desto mehr oder weniger Probleme kannst du haben. Kannst. Nicht musst.

    Ein weites und spannendes Feld, das. ;)

    LG A.

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    1. Kleine Ergänzung noch, damit das eben nicht so klingt, als ob Hormone mein psychische Allheilmittel sind: Ja, ich nehme Hormone. Aber (ein dickes, fettes Aber): Ich habe auch meinen ganzen Lebensstil umgekrempelt, von der Ernährung über mehr Sport bis hin zu meinem MBSR-Kurs. Ein fein austariertes System, bei dem alles ineinandergreift. ;)

      LG A.

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